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Der Zauber eines fruehen Morgens

Der Zauber eines fruehen Morgens

Titel: Der Zauber eines fruehen Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Pearse
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so ähnlich wie daheim, die Leute hatten dieselben Gewohnheiten und Ansichten. Aber auch hier, auf der anderen Seite der Erdkugel, hatte die Spanische Grippe ihre Opfer gefordert. Wie ihre Zimmerwirtin ihnen erzählte, waren weit über sechstausend Menschen an der Epidemie gestorben. Die Frau beschrieb, wie der Straßenbahn-Verkehr aus Angst, die Infektion zu verbreiten, eingestellt worden war und dass Züge, Karren und Lastwagen zwangsweise zum Transport von Leichen eingesetzt worden waren.
    Auch die Auswirkungen des Krieges ähnelten denen in England sehr. Tausende Neuseeländer waren aus den gleichen Gründen wie die britischen Männer in die Armee eingetreten, und die Zahl der Verluste unter ihnen war im Verhältnis genauso hoch. Und wie daheim sahen sie auch auf den Straßen von Auckland blinde oder verkrüppelte Männer. Man erzählte ihnen, dass die meisten von ihnen bei Gallipoli verwundet worden waren – über viereinhalbtausend. Weitere zweitausendsiebenhundert waren gefallen. Aber das war nicht alles; genauso viele waren in Frankreich verwundet worden und noch nicht wieder heimgekehrt. Doch obwohl fast jeder hier ein Familienmitglied verloren hatte, schienen es die Neuseeländer mit bemerkenswerter Fassung zu tragen und sehr stolz auf den Mut ihrer Soldaten zu sein. Mog und Belle waren gerührt, wie viel Mitgefühl für die Menschen in Großbritannien gezeigt wurde, wo nicht nur unvorstellbare Zahlen von Toten und Verwundeten beklagt wurden, sondern auch Bombenschäden, Nahrungsengpässe und Rationierung das Leben beeinträchtigten.
    »Ich fühle mich, als wäre ich dort angekommen, wo ich hingehöre«, bekannte Mog eines Abends, als sie sich zum Schlafengehen bereit machten. »Findest du es nicht einfach toll, dass hier keiner so aussieht, als hätte er einen Spazierstock am Arsch kleben?«
    Belle brach in schallendes Gelächter aus. Mog bezog sich auf das Fehlen von Klassenunterschieden. Belle war sich nicht sicher, ob das die in Neuseeland übliche Einstellung war; immerhin verkehrten sie hier mit ganz gewöhnlichen Leuten. Aber sie vertraute darauf, dass es in Russell genauso war, weil sie sich daran erinnerte, wieverblüfft und erheitert Vera immer über das versnobte Gehabe der anderen Fahrerinnen in Frankreich gewesen war.
    »Das Wort ›Arsch‹ solltest du dir vielleicht lieber verkneifen, bis man uns hier besser kennt«, ermahnte sie Mog.
    Als die Clansman in die Bay of Islands einfuhr, verschlug es Belle und Mog den Atem. Sie hatten zwar Beschreibungen von Vera gehört und in Auckland Bilder von der Bucht gesehen, doch die Wirklichkeit war einfach überwältigend. Das Meer war tatsächlich türkisblau und so klar, dass man deutlich die Fische im Wasser erkennen konnte, wenn man sich über die Reling beugte. Die Bäume auf den kleinen Inseln waren leuchtend grün und reichten bis ans Ufer heran.
    Unterwegs hatten sie Delfine gesehen; sie waren um das Schiff herumgetollt, indem sie ihre silbern glänzenden Köpfe aus dem Wasser streckten und die Mäuler aufsperrten, als lächelten sie zur Begrüßung, und das hatte Belle und Mog zu Tränen gerührt. In der Ferne hatten sie einen riesigen Wal entdeckt, und es war schrecklich aufregend gewesen, Dinge zu sehen, die sie sich nie hätten träumen lassen. Aber diese traumhafte Bucht, die sich vor ihnen ausbreitete und sämtliche Wunder der anderen Anlaufstellen der Clansman in den Schatten stellte, war ein Anblick, der wahrhaft demütig machte.
    »Wenn wir hier nicht glücklich werden, werden wir es nirgendwo«, sagte Mog und wischte sich eine Träne der Rührung aus dem Auge.
    Als sich das Schiff der Anlegestelle näherte, sahen sie, dass dort viele Leute standen und warteten. Man hatte ihnen bereits erzählt, dass es im Norden der Insel keine richtigen Straßen gab und ein Schiff die einzige Möglichkeit war, dorthin zu gelangen. Die Clansman war das wöchentliche Versorgungsschiff der Stadt. Es beförderte nicht nur Passagiere, sondern auch die Post sowie Lebensmittel und andere Waren. Die ersten europäischen Siedler waren hiergelandet, und wegen des prachtvollen und sicheren natürlichen Hafens hatte an diesem Ort einmal die Hauptstadt Neuseelands entstehen sollen, doch letzten Endes wurde wegen Russells isolierter Lage doch Auckland gewählt.
    »Da ist Vera!«, rief Belle und zeigte auf einen Punkt in der Menge. »Woher hat sie bloß gewusst, dass wir heute kommen?«
    »Tja, sieht so aus, als wäre die ganze Stadt am Hafen, wenn das Schiff

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