Der Zauber von Avalon 01 - Sieben Sterne und die dunkle Prophezeiung
Mutter dir nie das Gehen beigebracht? Oder war sie genauso dumm und ungeschickt wie du?«
Tamwyn schaute ebenso wütend zurück und ließ die Hand von der rasch anschwellenden Nase sinken . . . und von dem blauen Fleck, der sich unter seinem Auge bildete. Aber gerade als er selbst ein paar Beleidigungen loswerden wollte, unterbrach ihn Nuic mit einem lauten Rat:
»Mach dir nichts draus, junger Mann! Du hast wirklich keinen Grund zur Sorge. Du hast nur ihren einzigen Besitz zerstört, das letzte Geschenk ihres Vaters, bevor er starb.Und, oh ja, das Einzige, was sie in neun Jahren Sklaverei bei Verstand gehalten hat.«
Der Maryth zuckte die runden Achseln. »Keine Ahnung, warum sie so zornig auf dich geworden ist.«
Tamwyn sah plötzlich selbst ganz niedergeschmettert aus und drehte sich langsam zu Elli um.
Sie starrte ihn nur an, den Tränen nah, aber mit blitzenden Augen. Dann wandte sie sich ab und ging davon.
13
Blutige Hände
B rionna packte eine vorstehende Felskante und zog sich an der Wand des Cañons höher hinauf. Rötlich brauner Staub puderte ihren langen honigfarbenen Zopf und brannte ihr in den Augen. Dennoch hörte sie nicht auf zu klettern – genau wie sie nicht aufgehört hatte sich zu bewegen, seit vor zwei Stunden der Zauberer im Schatten sie freigelassen hatte. Das Leben ihres Großvaters war in der Schwebe . . . und ob er lebte oder starb, hing von ihr ab.
Allein von ihr.
Wie eine übergroße Spinne erklomm sie die Felswand. Als sie sich über einen herausragenden Sporn arbeitete, stöhnte sie vor Anstrengung – doch ein plötzlicher Windstoß zwang den Laut zurück in ihre Kehle und ließ Steine und Schmutz auf sie herunterprasseln. Eine spitze Kante bohrte sich in ihren Schenkel und riss ihr die Haut auf, so dass es einen neuen Blutfleck auf ihrem losen Gewand gab, das einmal so grün gewesen war wie die Bäume in Waldwurzel, jetzt aber so viele rote und braune Schmutzstreifen zeigte, dass der neue Fleck kaum auffiel.
Während sie sich keuchend auf das Gesims hievte, schaute sie auf ihre Hände hinunter. Dunkelroter Staub bedeckte sieund zog sich wie Blut um die Fingernägel. War das ein Zeichen? Von Großvaters Blut . . . das immer an ihren Händen kleben würde, wenn sie ihn im Stich ließ?
Sie drehte die Hände um und sah, wie der pfeifende Wind den roten Staub von den Innenflächen blies.
Oder vielleicht das Blut dieses jungen Mannes, dessen Stab ich stehlen soll? Bedeutet das seinen Tod oder den Tod anderer?
Nein. Daran konnte sie nicht denken. Sie musste sich auf ihre Aufgabe konzentrieren: den Stab zu finden und ihn hierher zurückzubringen, in diesen elenden Teil des oberen Brynchilla. An diesen Ort der Verletzung – von lebendigen Geschöpfen ebenso wie von lebendigem Land. Zu diesem Hexer, der sich verborgen hielt bis auf die bleichen Hände.
Das war ihre Aufgabe – und ihre einzige Möglichkeit, den Menschen zu retten, den jeder als Tressimir kannte, den verehrten Historiker der Waldelfen. Jeder außer ihr. Für sie war er Großvater, der einzige Mensch, auf den sie sich immer verlassen konnte. Der Mensch, der sie seit ihrer Kindheit erzogen, ihr während ihrer Krankheit geholfen und so gut wie alles beigebracht hatte, was sie über die reichen Traditionen der Elfen und die anderer Geschöpfe in Avalon wusste. Doch am wichtigsten war, dass er sie die Bedeutung der Familie gelehrt hatte.
Der Wind blies plötzlich heftig, er wehte Schmutz und Sand über sie und wirbelte Spiralen von Staub am ganzen wellenförmigen Cañonrand auf. Er blies wild und kalt. So kalt, dass sie schauderte.
Endlich legte sich der Wind. Brionna schaute hinauf. Nur noch ein paar Minuten und sie würde den oberen Rand erreichen– und wieder den östlichen Teil ihres geliebten Waldwurzel sehen, des Baumreichs, in dem sie so gern wieder in Frieden leben wollte. Doch sie wusste, dass es in nächster Zeit keinen Frieden für sie geben würde. Nicht bevor Großvater sicher war.
Sie drehte sich um und schaute zurück über den Cañon, den sie beinah erstiegen hatte. Auf der anderen Seite ragte der Felsenturm auf wie der Kopf einer Blutschlange. Sie sah auch das Gesims, wo der Hexer dem armen Tier die Eingeweide herausgerissen und dann seine Befehle gegeben hatte. Unterhalb des Cañonrands lag der weiße See mit seinem seltsamen Glanz, so tief wie ein kleiner Ozean. Und dann, als Letztes, fielen ihre Blicke auf den verfluchten Damm, von Hunderten von Sklaven erbaut, die seine schweren Steinblöcke
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