Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
die Schiffswand schlug, als er über Bord springen wollte. Als er wieder zu sich kam, war das Boot in sichereres Wasser getrieben und er befand sich allein an Bord. Er hatte zwar eine Beule am Schädel, aber sein Leben war gerettet.«
Lleu leckte sich die salzige Gischt von den Lippen und schaute zu Elli hinüber. »Beim Gedenkgottesdienst versuchte unsere Freundin Coerria dieser Tragödie einen Sinn zu geben, indem sie uns damit an unsere eigenen Schwächen erinnerte. Schließlich ist die Menschheit sehr geschickt darin, diese Schwächen zu ignorieren. Coerria zitierte die berühmten Verse von Pawyll dem Jüngeren:
Habt Acht, Menschenbrüder,
Die Warnung gilt hier:
Wenn Glaube zu Hochmut wird,
Freude zu Gier –
Dann fesselt die Hoffnung,
Statt zu beflügeln.
Die Herzen verhärten,
Aus Bekehren wird Prügeln.
»Gut, dass wir nur den Außenbezirk dieser Region kreuzen«, murmelte Brionna. Sie wischte sich die Hand, an der noch Farbe schimmerte, an ihrem Gewand ab. Dann deutete sie über den Bug hinaus. »Schaut nur, dort drüben!«
Tatsächlich, sie sahen die klare Grenze des schäumenden Wassers. In wenigen Sekunden lag sie hinter ihnen. AnBord wurden mehrere Seufzer ausgestoßen – erleichterte, aber vielleicht auch sehnsüchtige.
Schweigend segelten sie weiter, an einer Insel nach der anderen vorbei. Plötzlich endete die Stille, als ein Blitz über den Himmel fuhr und ein lauter Donnerschlag über ihnen krachte. Mehrere scharfe Windstöße folgten, die das kleine Boot hin und her warfen, dann kam ein diesiger Sprühregen, der sich rasch in einen Platzregen verwandelte. Es dauerte nicht lange, da schüttete es in Strömen auf Meer und Segelboot herab. Blitze und Donner folgten, während der Regen auf die Gefährten eintrommelte.
Sie drängten sich in ihren durchnässten Gewändern aneinander und verloren jede Freude am Meer. Brionna schnitt eine Grimasse, während sie die Ruderpinne umklammerte. Nicht nur der kalte Regen machte ihr zu schaffen, sie kämpfte auch mit der Schwierigkeit, Kurs zu halten. Kaum konnte sie über den Bug hinausschauen und schon gar nicht das Weidenland im Auge behalten. Und es bestand ein großes Risiko, auf Grund zu laufen.
Schließlich ließ Brionna das Steuer los und nahm mit Ellis und Lleus Hilfe das Segel herunter. Doch statt es zu einzurollen, hakten sie es vom Mast los und breiteten es wie ein Stoffdach über ihren Köpfen aus. Jetzt hatten sie es wenigstens etwas trockener, wenn auch immer noch kalt. Sie drängten sich dicht zusammen, während das kleine Boot auf den Wellen taumelte; Wasser von unten schleuderte die Freunde herum, Wasser von oben hämmerte auf sie ein.
15
Das Weidenland
E s regnete unvermindert weiter, Stunde um Stunde. Der Sternenuntergang kam und ging unbemerkt. Unter der dunklen Decke des Segels verloren die Gefährten jedes Zeitgefühl. Sie kannten nur noch das unentwegte Schaukeln der Wellen und das endlose Geheul des Winds zum unbarmherzigen Trommelschlag des Regens.
Und die Kälte – eine zunehmende, kriechende Kälte bis in die tiefsten Adern. Finger schmerzten, Zehen wurden taub. Shims Nase färbte sich so blau wie Nuics Haut.
»Meine K-k-knochen erfr-frieren«, stöhnte der kleine Riese.
»Meine auch«, brummte Lleu. »Ich fürchte, wir verwandeln uns alle in Eis.«
Elli fürchtete noch mehr, dass sie kostbare Zeit verloren, und fluchte: »Beim Gift der Ghule! Sollen wir endlos auf diesem Meer treiben?«
»Zumindest bis der Regen aufhört«, antwortete Brionna fröstelnd. »Wenn ich nichts sehen kann, kann ich auch nicht steuern.«
Die ganze Nacht hindurch trieben sie auf der stürmischen See. Erst in der Stunde vor der Dämmerung fiel demElfenmädchen schließlich auf, dass der Regen nachließ. Sie drückte Ellis Handgelenk und beide horchten auf die Welt jenseits des Boots, die allmählich stiller wurde.
Langsam, mit gefühllosen Händen zogen sie einen Teil des Segels weg. Durch die Öffnung drang ein frischer, feuchter Luftzug mit dem kräftigen Salzgeruch des Meeres – aber sehr wenig Regen. Sekunden später hatte der Regen völlig aufgehört. Ein paar vereinzelte Sterne schimmerten durch Lücken in den Wolken. Bis sie das Segel wieder gehisst hatten, erhellte das Morgengrauen Himmel und Meer und warf ein Netz aus goldenem Licht über die Wellen.
Und dort, gerade im Westen, lag das tiefgrüne Band des Weidenlands. Zur Erleichterung aller hatte der Sturm sie auf ihr Ziel zugetrieben. Geschickt drehte Brionna das
Weitere Kostenlose Bücher