Der Zauberer von Linn
was hindert mich dann, das ganze Schiff zu erobern?«
Clane lächelte grimmig:
»Die zwanzig Oberdecks sind bereits von meinen Leuten besetzt, alles junge, verheiratete Männer, die von ihren Frauen begleitet werden. Außer zwischen den Offizieren wird keinerlei Verbindung innerhalb der beiden Gruppen bestehen. Alle Verbindungstüren zwischen den Decks habe ich versiegeln lassen. Lediglich der Zugang zu deinem Hauptquartier bleibt offen.«
Czinczar blickte ihn erstaunt und gedankenvoll an. Das hörte sich alles sehr wohlvorbereitet an, aber er konnte sich noch nicht denken, was Clane eigentlich vorhatte.
»Wohin fliegen wir?« fragte er schließlich. »Zu einem der äußeren Monde?«
»Abwarten«, erwiderte Clane knapp. Er stand auf. »Genug davon. Du hast deine Instruktionen. Ich muß noch eine Reise in die Hauptstadt unternehmen. Ich wünsche, daß du in einer Woche deine Leute an Bord gebracht hast und abflugbereit bist. Und noch eins: Wenn dein gesunder Verstand in dieser Zeit die Oberhand gewinnen sollte, dann bringe die Kugel mit an Bord.«
»Mein Freund«, sagte Czinczar lächelnd, »du bist zu gefühlsbetont. Wir werden uns niemals von politischen Intrigen freimachen können. Das liegt nun einmal in der menschlichen Natur. Jeder, der dieses ungeschriebene Gesetz mißachtet, wird untergehen und von der Zeit vergessen. Nimm dich in acht, Clane!«
Und fast automatisch setzte er hinzu:
»Ich habe die Kugel nicht.«
8.
Der Pfeil kam aus der Dunkelheit der Nacht, schwirrte dicht über Clanes Kopf hinweg und traf einen Posten in die Schulter.
Der Mann schrie überrascht auf, griff nach dem Schaftende und versuchte, den Pfeil aus der Wunde zu ziehen. Ein Kamerad eilte ihm zu Hilfe. Der Getroffene war eher verstört als ernstlich verletzt, und er fluchte laut, während er den Pfeil aus der harmlosen Fleischwunde zog.
Andere Soldaten sprangen auf und liefen in die Richtung, aus der das Geschoß gekommen war. Ein Tumult entstand. Männer rannten hin und her, Fackeln wurden entzündet und flackerten im Nachtwind.
Clane verharrte eine Weile reglos. Endlich rief er einen scharfen Befehl, und die erregten Schreie verebbten. Eine Gasse öffnete sich, durch die die Wachen den gefangenen Schützen vor sich her stießen, eine schlanke, zierliche Gestalt.
»Eine Frau!« rief jemand verwundert aus.
Die Feststellung verursachte einen erneuten Aufruhr unter den Männern. Das Mädchen wehrte sich heftig gegen den Zugriff ihrer Bewacher.
»Laßt mich los, ihr dreckigen Ratten. Ich möchte mit Lord Clane sprechen!«
Die helle Stimme, obwohl vor Wut verzerrt, verriet doch die edle Abstammung und die vorzügliche Bildung.
Clane glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Vielleicht war es nur ein Trugbild in dem flackernden Schein der Fackeln, aber das Mädchen schien kaum den Kinderschuhen entwachsen zu sein. Ihre Augen blitzten leidenschaftlich, und um ihren Mund lag der Zug trotziger Jugend.
Es bestand kein Zweifel, daß sie ihn mit ihrem Pfeil hatte treffen wollen, und so fuhr er sie zornig an:
»Wer bist du?«
»Ich sage nichts, nicht hier.«
»Wie ist dein Name?«
Sie zögerte. Doch offensichtlich hatte sie die Schärfe in seiner Stimme verschüchtert, und so hauchte sie:
»Madelina Corgay.«
Ein alter, berühmter Name. Generale und Patrone hatten diesen Namen getragen. Ihr Vater, so erinnerte sich Clane, war vor einem Jahr im Kampf auf dem Mars gefallen – als Held. Und dieser Umstand mochte für seine Tochter als Entschuldigung gelten.
Man konnte sie also unmöglich so bestrafen, wie es sonst bei weiblichen Attentätern üblich war – man überließ sie meist den Soldaten. Morgen würde der neue Lordführer Calaj seinen triumphalen Einzug in die Hauptstadt halten. Wenn er von dieser Sache erfuhr, würde es zweifellos zu politischen Verwicklungen kommen.
»Nehmt sie mit«, befahl er. »Es darf ihr nichts geschehen. Ich werde sie verhören, wenn wir unser Ziel erreicht haben.«
Clane gab die notwendigen Befehle, und kurz darauf setzte sich der Zug wieder in Marsch.
Mehrere Wochen waren seit der Eroberung des Riss-Schiffes vergangen, und bereits sechs Monate seit dem Sieg über die Barbaren. Die Welt der Linn hatte sich von diesen beiden Katastrophen wieder erholt, obwohl noch nicht alle Spuren beseitigt waren. Die Überlebenden hatten die ausgestandenen Gefahren fast vergessen. Und es wurden Stimmen laut, besonders die der Geschäftsleute, man habe Czinczar überschätzt.
Seit Jerrin tot
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