Der Zauberhut
Umgebung genügten dumme Fragen, um Gefahr heraufzubeschwören.
»Jemanden, der die Traditionen ehrt und für hohen Lohn keine Risiken scheut«, sagte eine andere Stimme. Sie schien von einer runden Lederschachtel im Arm des Fremden zu stammen.
»Oh«, erwiderte Rincewind, »das grenzt die Auswahl ein wenig ein. Was Lohn und Risiko betrifft… Geht es dabei um weite Reisen durch fremde, gefährliche Länder?«
»In der Tat.«
»Vermutlich sind auch Begegnungen mit exotischen Wesen nicht auszuschließen?« Rincewind lächelte.
»Nicht ganz.«
»Und ständig droht einem fast sicherer Tod?«
»Eine Möglichkeit, die durchaus berücksichtigt werden sollte.« Rincewind nickte und griff nach seinem Hut.
»Nun, dann wünsche ich dir viel Erfolg bei deiner Suche«, sagte er.
»Ich würde dir gern helfen, aber leider bin ich nicht dazu bereit.«
»Wie bitte?«
»Nun, ich bedaure es sehr, aber die Aussicht von fast sicherem Tod in den Klauen exotischer Ungeheuer aus fremden Ländern reizt mich nicht besonders. Ich habe es mit solchen Dingen probiert, konnte mich jedoch nicht daran gewöhnen. Jedem sein eigenes Abenteuer, so lautet meine Devise. Ich ziehe Langeweile vor.« Er rammte sich den Hut auf den Kopf und stand unsicher auf.
Rincewind kam bis zur untersten Stufe der Treppe, die zur Straße führte, als jemand hinter ihm sagte: »Ein wahrer Zauberer hätte nicht abgelehnt.«
Er hätte einfach weitergehen können, und einige Sekunden lang spielte Rincewind tatsächlich mit dem Gedanken, die Treppe zu erklimmen, auf die Straße zurückkehren, sich in der Kichergasse eine klatschianische Pizza zu holen und anschließend unter die Bettdecke zu kriechen. Durch eine solche Entscheidung wäre die Geschichte wesentlich verändert und erheblicher kürzer gestaltet worden, aber solche Dinge spielten für den stellvertretenden Bibliothekar der Unsichtbaren Universität nur eine untergeordnete Rolle. Ihn lockte in erster Linie die Vorstellung, sich gründlich auszuschlafen, auch wenn er dabei auf eine weiche Matratze verzichten mußte.
Die Zukunft hielt den Atem an, wartete darauf, daß Rincewind fortging.
Aber er blieb stehen, und dafür gab es drei Gründe. Der erste hieß Alkohol. Als zweiter mag die winzige Flamme des Stolzes angeführt werden, die selbst im Herzen des vorsichtigsten Feiglings brennt. Der dritte war die Stimme.
Eine herrliche Stimme. Sie klang wie lange, seidige Locken.
Die Wechselbeziehung zwischen Zauberern und Sex ist ziemlich kompliziert, aber es wurde bereits darauf hingewiesen, daß sie auf folgendes hinausläuft: Wenn es um Wein, Weib und Gesang geht, so ist es Zauberern gestattet, ganz nach Belieben zu trinken und zu grölen.
Jungen Thaumaturgen erklärte man, der Umgang mit Magie sei sehr schwierig, und deshalb dürfe man nicht durch verstohlene und schweißtreibende Aktivitäten abgelenkt werden. Es sei weitaus besser, so hieß es, solche Dinge zu vergessen und sich statt dessen mit Erich Enthaltsams Okkulter Fibel zu befassen. Seltsamerweise gaben sich nur wenige magische Schüler mit dieser Erklärung zufrieden; die meisten anderen schöpften Verdacht und argwöhnten, man verlange nur deshalb erotische Abstinenz von ihnen, weil die entsprechenden Regeln von alten – und vermutlich vergeßlichen – Zauberern stammten. Damit hatten sie nur zum Teil recht. Der Grund für das obligatorische Zölibat war tatsächlich in Vergessenheit geraten: Wenn man Zauberern ungehinderten Umgang mit dem femininen Geschlecht erlaubte, bestand die Gefahr kreativer Magie.
Natürlich beschränkten sich Rincewinds Kenntnisse nicht nur auf die Bibliothek in der Universität. Er hatte die eine andere Erfahrung gemacht und sich früh genug von den Geboten seiner Ausbildung befreit, um mehrere Stunden in der Gesellschaft einer Frau zu verbringen, ohne anschließend eine kalte Dusche und mehrere Beruhigungspillen nehmen zu müssen. Aber die Stimme hätte sogar eine Statue dazu veranlassen können, von ihrem Sockel zu springen und mit hundert Kniebeugen und fünfzig Liegestützen zu versuchen, sich von hormoneller Energie zu befreien. Wenn eine solche Stimme »guten Morgen« sagte, klang es wie eine Einladung ins Bett.
Die Fremde strich ihre Kapuze zurück, und langes, fast weißes Haar kam darunter zum Vorschein. Die gebräunte Haut stand in einem ebenso auffallenden wie harmonischen Kontrast dazu, und daraus ergab sich eine gut kalkulierte Wirkung auf die männliche Libido: Jemand schien ein Feuer unter ihr
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