Der Zauberspiegel
sollen und die Sache vergessen. Sie wollte nicht, dass Ranon oder irgendjemand sonst seine Hoffnungen in sie setzte. Sie würde diese Menschen bitter enttäuschen.
»Was heißt das, auserwählt? Was erwartet ihr von dieser Person?«
»Du bist es, die Kloobs Macht brechen kann. Du bringst uns die Freiheit zurück«, erklärte Ranon pathetisch.
Nein! Es wurde tatsächlich eine Kriegerin gesucht. Juliane ballte die Hände zu Fäusten. Das war wohl ein Witz. Sie konnte also nicht gemeint sein. Dennoch fühlte sie sich hundeelend vor Angst. Sie unterdrückte ein Schluchzen.
»Ist alles in Ordnung?«
Sie wandte sich wieder Ranon zu. »Ja, ich habe … egal.«
»Schwör mir, dass du morgen früh noch hier sein wirst.«
Wohin hätte sie auch gehen können? »Ich verspreche es.«
Ranon lächelte. »Schöne Träume, Juliane.«
»Dir auch.« Sie kletterte die Holzleiter hinauf. Tränen verschleierten ihren Blick, die sie ärgerlich fortblinzelte, während sie ins Heu kroch.
Das Trockengras duftete verlockend und sie empfand unsagbare Müdigkeit. Doch kaum hatte sie sich hingelegt, wusste sie, dass ihre rastlosen Gedanken ihr keine Ruhe bescheren würden.
Das also sollte sie sein? Eine Auserwählte? Die Retterin dieses Volkes? Verdammt, wie sollte sie das denn anstellen? Sie war nichts und niemand. Wer würde ihr die Heldinnenrolle abnehmen? Was erwartete Ranon von ihr?
Sie lachte freudlos. Sie musste wirklich den Verstand verloren haben.
»K ´ el, k ´ tel, amorrk, Moira!” Das Gesicht des schwarzgekleideten Mannes lag im Schatten, seine Augen glühten. Juliane lief ein eisiger Schauder über den Rücken. Seine Arme vollführten seltsame Gesten gegen jemanden, der sich rechts von ihr befand. Sie wandte sich der Person zu. Eine ganz in Weiß gekleidete Frau. Es war die Unbekannte aus dem Zug. Ihr Blick heftete sich auf Juliane. »Hilf mir, bitte hilf mir, Juliane«, flüsterte sie.
Ein Knirschen und Stöhnen wanderte von den Füßen der Frau nach oben und eine gewaltige, kristalline Substanz umschloss sie.
Juliane keuchte entsetzt und schlug die Hand vor den Mund. Doch noch immer schien der dunkle Mann sie nicht zu bemerken. Er winkte einen Todesreiter zu sich. Die kleine, bullige Gestalt wirkte grotesk in der Rüstung. Sie musterte sein Gesicht. Er war böse, das spürte sie sofort. Seine Gedanken erwiesen sich als so grausam und mitleidslos, dass er ihr mehr Angst einjagte als irgendein Mensch zuvor. Juliane schien für die Männer unsichtbar. Warum? Träumte sie? Hatte sie eine Vision?
»Iorgen, sorgt dafür, dass die Hexe ins Morvannental gebracht wird.«
»Ja, Herr!« Iorgen zögerte. »Die Königin und ihre Tochter sind verschwunden. Die … die morvannische Dienerschaft hat ihnen bei der Flucht geholfen.«
Der Schwarzgekleidete gab ein Zischen von sich. »Tötet sie, tötet jeden Morvannen, den ihr in Goryydon findet. Spürt jeden einzelnen auf! Keiner darf überleben!«
»Aufstehen! Es gibt viel zu tun!«, durchbrach Alys’ Stimme Julianes Traum. Ein Ruck ging durch ihren Körper. Was für ein Traum! Nein, es war mehr als das gewesen.
Juliane kannte den Unterschied. Sie sinnierte über die Informationen, die sie erhalten hatte. Was hatte die Frau aus dem Zug mit alldem hier zu tun? Wann hatte dieses Ereignis stattgefunden? Nach ihrem Auftauchen in Goryydon? Oder bereits vorher? Wie hatte die weiße Frau dann zu ihr gelangen können? Verschlafen richtete sie sich auf und fuhr sich durch das Haar. Einzelne Halme fielen hinaus.
»Shit, wird man hier jeden Morgen so unsanft aus dem Schlaf gerissen?«, motzte sie, um ihre Angst zu übertünchen. Sie folgte Alys hinaus, die eilig auf das Haupthaus zustrebte. »Alys, renn mir nicht davon.«
Alys drehte sich um. »Was willst du denn?«
»Ich habe was aufgeschnappt, das ich nicht kenne«, log Juliane flink. »Was sind Morvannen?«
Augenrollend stemmte sie die Hände in die Hüften. »Irgendwelche Wilden, keine Ahnung. Habe noch nie einen gesehen«, sagte sie und Juliane beschloss, es vorerst auf sich beruhen zu lassen.
Noch bevor Juliane am Frühstückstisch saß, hatte sie Kühe gemolken, Eier aus dem Hühnerstall geholt und die Schweine gefüttert. Überrascht stellte sie fest, dass ihr die ungewohnten Arbeiten Spaß bereiteten. Vielleicht würde sie tatsächlich eine Weile hierbleiben.
Ranon klemmte sich ein Strohbüschel zwischen die Knie und schlang einige Strohhalme darum. Deren Enden zwirbelte er fest zusammen, ehe er diese unter
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