Der Zauberspiegel
jagen? Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht habe ich etwas Aufregendes belauscht?«
Ranon hob die Augenbraue. »Der, den sie Skale nannten, wird in diesem Fall nicht aufgeben. Nicht so schnell zumindest. Und wenn sie dich kriegen …«, Ranon zögerte, »werden sie dich töten, wenn du Glück hast. Wenn nicht, wirst du unter den Soldaten herumgereicht oder gefoltert, ehe sie dich in den Kerker werfen.«
Juliane lief es eiskalt den Rücken hinunter, ihre Hände begannen zu zittern, sodass sie beinahe die Milch verschüttete. Sie überspielte ihre Furcht, als sie Ranons besorgten Blick bemerkte, und riss sich schnell zusammen. Auf keinen Fall wollte sie ihm leidtun.
»Hast du denn etwas belauscht?«, erkundigte er sich.
Panik überrollte sie. Sie konnte nichts sagen. Kein Vertrauen fassen, solange sie nur den Hauch eines Zweifels in sich trug und die Erinnerung an die grausamen Soldaten so intensiv war.
Sie zuckte die Schultern und schwieg.
Ranon drängte sie nicht, obwohl sie seiner Miene ansah, dass er einen Verdacht hegte. Doch er führte sie nur ins Wohnhaus zurück.
Sie trugen die Eimer in die Küche, wo Alys und Pathi mit dem Putzen von Gemüse beschäftigt waren und stellten die Milchkübel schwungvoll ab.
»Seid ihr fertig?«, fragte Pathi.
Ranon nickte. »Ich lasse Juliane bei euch, bestimmt habt ihr Frauen eine Menge Gesprächsstoff.« Ranon zwinkerte Juliane zu, dann war er auch schon verschwunden.
»Komm, setz dich.« Pathi reichte Juliane ihr Messer. »Du kannst mit Alys das Gemüse vorbereiten.«
Die Bäuerin ging an eine riesige Truhe und holte einige Gerätschaften heraus, ehe sie die Milch in die verschiedenen Behältnisse goss.
Juliane ahmte Alys nach, die mit dem Messer über die Karotten fuhr und die äußerste Schicht grob abrieb, bevor sie die Wurzeln über einem Kessel in Scheiben schnitt.
»Wo kommst du her, Juliane?«, fragte Alys misstrauisch. »Ich habe deine Kleider gewaschen, ähnliche sah ich noch nie zuvor.«
Julianes Herz klopfte einen Takt schneller.
»Ach die Sachen«, meinte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Die habe ich geschenkt bekommen.« Natürlich, die Jacke, die Hose, für hiesige Verhältnisse mussten die Sachen wertvoll und hochwertig wirken. Keine Kleidung, die eine Streunerin tragen würde. Verdammt.
»So?« Alys hob eine Augenbraue. »Und woher kommst du?«
»Von da und dort. Ich bin überall Zuhause, wo es mir gefällt.«
»Sei doch nicht so neugierig, Alys«, meinte Pathi, während sie die Milch rührte.
Wenig später gab es Abendessen. Voller Vorfreude ließ sich Juliane auf einen der Stühle nieder, die um den Tisch standen. Zum zweiten Mal an diesem Tag erhielt sie eine Mahlzeit. In einem entlegenen Winkel ihres Hirns dachte sie, wie schnell man sich über Selbstverständlichkeiten freuen konnte, wenn man sie eine Weile verloren hatte. Sie saß zwischen Alys und Ranon. Ihnen gegenüber saßen die Knechte Waq und Mour. Am langen Ende des Tisches hatten Yorim und seine Frau Platz genommen.
»Reichst du mir ein Stück Brot, Juliane?«, bat Ranon.
Gedankenverloren hielt sie ihm eine Scheibe hin.
Sie blickte auf, als Ranon nicht nach dem Brot griff. Er fixierte die Handfläche, in der das Sonnenzeichen eingebrannt war. Erschrocken nahm sie die Brotscheibe in die andere Hand und ballte die mit dem Zeichen zur Faust. Zu spät, Ranon hatte das Mal bereits bemerkt. Seinem Blick nach zu urteilen, kannte er die Bedeutung des Symbols. »Ranon?«
Ranon erwachte aus seiner Erstarrung und nahm das Brot. Er beugte sich über sein Essen, ohne noch einmal aufzublicken. Sein Verhalten irritierte sie. Was bedeutete es dieses Mal? Diese Bäuerin und nun auch Ranon hatten seltsam reagiert, als sie es sahen. Juliane würde dafür sorgen, dass niemand mehr das Symbol sah. Es wurde ihr zusehends unheimlich. Sie sollte herausfinden, was es zu bedeuten hatte, und wer die Frau in ihrer Vision gewesen war. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass beides sehr wichtig war.
Nach der Mahlzeit räumten Alys und sie das Geschirr auf, während die Männer es sich in der Stube um den Kamin bequem machten. Alys erledigte den Abwasch zügig und half Juliane anschließend beim Abtrocknen, ehe sie das Geschirr verstaute. Sie war über die Eile erstaunt, zog es aber vor, nicht nachzufragen. Stattdessen kehrte sie mit Alys zurück in die Stube und hockte sich neben sie auf den Boden. Pathi hatte es sich neben Yorim auf einem Lehnstuhl bequem gemacht und
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