Der Zauberspiegel
über den Fußboden ausgebreitet hatte. Die Truhe mit den Kochgeräten war leergeräumt. Die Gerätschaften achtlos zu Boden gefegt.
Vorsichtig verließ sie den Raum und sah in die Stube. Auch dort hatten die Soldaten wie die Vandalen gewütet. Stühle waren zerbrochen, Schranktüren ausgerissen. O Gott, hoffentlich lebt noch jemand.
Ängstlich stieg sie die Stufen hinauf zu den Schlafräumen. Dort herrschte dasselbe Chaos wie in den Wohnräumen. Truhen standen offen, Kleider lagen auf den Böden, Kissen und Matratzen waren aufgeschlitzt. Sie stolperte über eine Hose und hob sie auf, nur um sie in einem Anfall von Wut in eine Raumecke zu werfen. Niemand war mehr hier. Sie waren alle geflohen, hatten sie allein gelassen. Am besten verschwand sie auch von hier. Irgendwohin, wo sie in Sicherheit war. Sie wollte nicht daran denken, dass die Soldaten die anderen weggebracht hatten. Nein, sie hatten das Hasenpanier ergriffen und Juliane vergessen. Im Haus gab es schließlich keine Spuren von den anderen und sie wollte nicht glauben, dass ihnen etwas zugestoßen war!
Offenbar hatten die Soldaten hier etwas gesucht. Vielleicht sie? Sie schluckte. Panik wollte in ihr hochsteigen und entlud sich in Tränen, die ihr heiß über die Wangen kullerten. Sie war allein. Wieder einmal. Sie sollte versuchen, nach Hause zu kommen.
Wo zur Hölle steckten nur die anderen?
Juliane zögerte. Sie musste nach draußen, um herauszufinden, ob es sicher war. Sie kontrollierte mit einem kurzen Rundgang durch das Haus, ob sich auch gewiss kein Freund oder Feind mehr im Inneren befand, bevor sie langsam auf die Haustür zuging. Ihr Pulsschlag pochte bis in ihre Schläfen, als sie die Eingangstür vorsichtig öffnete. Sie entdeckte niemanden und lief auf den Hof. Abrupt stoppte sie im nächsten Moment.
Überall lagen Leichen. In der Luft hing der metallische Geruch von Blut und menschlichen Ausscheidungen. Juliane schlug die Hand vor den Mund. Grausen erfüllte sie und sie stieß einen schluchzenden Aufschrei aus, während ihr Blick ungläubig über die Leichen wanderte. Die Toten lagen da wie achtlos weggeworfener Müll.
Eine Perversion des Lebens. Sie zählte mehr Menschen, als auf dem Hof gelebt hatten. Die Soldaten mussten Gefangene hergebracht haben. Doch warum? Befand sich Ranon unter ihnen? Und Alys? Yorim? Hatten sie ihn und die anderen unter Folter gezwungen, ihren Aufenthaltsort preiszugeben? Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken.
Sie würgte trocken. Ihre Hand zitterte, als sie sich über die erste Leiche beugte. Vorsichtig drehte sie den Körper um – ein Fremder.
Sie zwang sich, einen nach dem anderen anzusehen.
Sie fand Pathi, mit dem Gesicht voran im Matsch. Sie hob Pathis dreck- und blutverschmierten Kopf und wimmerte.
Sie waren alle tot! Mausetot. Juliane fror, doch es war nicht die Kälte, die sie zittern ließ. Nicht weit von Pathi entdeckte sie Yorim. Er lag auf dem Rücken. Sein Hemd war zerschnitten und die Haut über seinem Bauch klaffte auseinander. Sie konnte die blutigen Eingeweide sehen. Der Gestank, der ihr in die Nase stieg, war unbeschreiblich.
Die Todesreiter trugen ihren Namen zurecht. Sie brachten den Tod. Angst und Verzweiflung.
Die letzte Leiche entdeckte Juliane vor dem Brunnen. Sie war ganz schwarz gekleidet. Schwarze Jeans, schwarzes Shirt, schwarze Lederjacke. Nur ihre Füße ragten nackt unter dem Hosensaum hervor. Die Zehen starrten vor Dreck. Juliane schluckte und fixierte den Körper. Ihre Kleider! Wer trug ihre Kleider? Die Haare verdeckten das Gesicht der Toten. Juliane strich sie zurück. Alys starrte sie aus toten Augen an. Juliane schluchzte auf, setzte sich auf den Boden und begann zu weinen.
Nach einer Weile schlurfte sie zurück ins Haus. Im Flur verließen sie ihre Kräfte und sie brach zusammen. Sie verbarg ihr Gesicht hinter den Händen und versuchte, zwischen Weinkrämpfen nachzudenken. Sie musste fort von hier. Der Bauernhof war zu einem Massengrab geworden. Bei dem Gedanken an die einfachen, aber mutigen Menschen musste sie weinen. Ihr Tod war ihre Schuld, sie und Alys, Pathi und Yorim starben, um sie zu beschützen. Eine Schuld, die sie nie und nimmer zurückzahlen konnte.
Irgendwann versiegten ihre Tränen und ihre Erstarrung löste sich. Entschlossen begab sie sich in ein Schlafzimmer, riss sich das Kleid über den Kopf und schlüpfte in ein viel zu weites Hemd und Hosen. Sie zog ein weiches Lederwams über und entdeckte noch ein paar bequeme Stiefel, die sie
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