Der Zauberspiegel
schien nachzudenken, dann sprang er vom Pferd. Er reichte Kalira die Zügel und kletterte geschickt auf einen Baum.
»Reitet weiter und wartet in einiger Entfernung auf mich.«
*
Die Zeit verstrich und es schien so, als hätte sich Kalira geirrt. Ranon beschloss gerade, sich wieder seinen Freunden anzuschließen, als er die Schritte eines Pferdes vernahm. Der Reiter erwies sich als Soldat in schwarzer Rüstung. Brustharnisch, Helm und Armpanzerung waren, anders als bei seinen Kameraden, verbeult und zerkratzt. Er selbst hing erschöpft im Sattel.
Als sich der Verfolger unter ihm befand, hechtete Ranon von seinem Ast und riss den Mann aus seinem Sattel. Die beiden schlugen hart auf dem Waldboden auf. Der Schwarze ächzte. Ranons Stirn prallte gegen das Visier, doch er verbiss sich den Schmerz.
Der Todesreiter hob die Faust, bereit zuzuschlagen, ließ aber den Arm sinken, als er Ranon ansah. Ranon zerrte ihn grob vom Boden hoch. Ohne sich zu wehren, ließ der Soldat es geschehen, und machte eine beschwichtigende Geste, um zu zeigen, dass er sich ergab.
Ranon wunderte sich über das Verhalten des Soldaten. Er nahm dem Verfolger sämtliche Waffen ab. Dieser blieb stumm und Ranon rätselte, ob der Todesreiter überhaupt der Sprache mächtig war. Er musterte den Krieger. »Wir wollen mit dir reden. Mach keinen Ärger!« Er zwang den Soldaten, sich umzudrehen und riss ihm grob die Hände auf den Rücken, wo er sie mit einer dünnen Lederschnur fesselte. Dann zog er ihn unsanft hinter sich her. Der Rappe des Soldaten trottete den beiden wie ein Hund hinterher, bis sie auf einer kleinen Lichtung Torus, Kalira und Juliane wiedertrafen. Ranon ließ die Arme des Todesreiters los und versetzte ihm einen harten Stoß in den Rücken. Der Soldat stolperte nach vorn. »Kalira, du hattest recht, er ist uns gefolgt.«
Der Soldat musterte Torus und Kalira, die ihn ebenfalls misstrauisch beäugten.
Torus trat ein paar Schritte auf ihn zu. »Seit wann verfolgst du uns?«, fragte er kalt.
»Noch nicht lange«, ertönte es dumpf unter dem Helm.
Ranon hob seinen Dolch und hielt ihm die Klinge an den Hals. Eine einzelne Blutperle quoll unter der Messerspitze hervor und rollte in den Kragen des Unbekannten. »Beantworte die Frage. Seit wann?«, fragte Ranon und verstärkte den Druck.
»Seit gestern Mittag.« Der Soldat wirkte gereizt und kein bisschen eingeschüchtert. Es schien, als glaubte er, dass er keinen Moment in Gefahr schwebte. Juliane schwankte zwischen Besorgnis und Unglauben. Warum reagierte er so gefasst?
Der Todesreiter wandte sich an Kalira. »Ich habe dir deine Kette zurückgegeben.«
Kalira riss die Augen auf, ihre Hand flog an ihr Dekollete, wo das Hemd ihre Kette verbarg, und sie gab Ranon mit der anderen Hand einen Wink. »Lass ihn los!«
Torus nickte.
Die geschmeidigen Bewegungen des Soldaten kamen Juliane vertraut vor. Seine Stimme hatte die falsche Tonlage und doch war ihr, als hörte sie ihren Traum-Geliebten.
»Du hast mich aus dem Feldlager gerettet?«, fragte Kalira und Zweifel schwangen in ihrer Stimme mit.
»Ja«, erklärte er knapp und setzte seinen Helm ab.
Der Soldat war nicht viel älter als Kalira. Andere anzustarren, galt als Unhöflichkeit, doch Juliane konnte nichts anderes tun, als ihn anzublicken. Er besaß das schönste Gesicht, das sie je gesehen hatte. Seine zimtfarbene Haut und seine schwarzen Augen gaben ihm ein exotisches Aussehen, das durch das für goryydonische Männer unüblich lange Haar verstärkt wurde. Die schwarze Mähne umfloss sein Gesicht und fiel wie Seide über seinen Rücken.
Er musterte einen nach dem anderen aus zusammengekniffenen Augen, ohne jedoch einen einzigen Blick an sie zu verschwenden. Als wäre sie seiner Aufmerksamkeit nicht würdig. Ohne zu wissen weshalb, versetzte ihr sein Desinteresse einen Stich in der Brust. Er stand sogar so, dass er sie nur aus den Augenwinkeln sehen konnte. Und nicht einmal das tat er. Warum beachtet er mich nicht?, fragte sie sich verwirrt.
Die Miene des jungen Soldaten entspannte sich, und als hätte er Julianes Gedanken gelesen, wandte er sich ihr zu. Seine Augen waren nicht schwarz, sondern von vertrauenerweckendem Dunkelbraun mit schwarzen Splittern. Es waren dieselben Augen, von denen sie während ihrer Krankheit geträumt hatte. Die sie davor bewahrt hatten, den letzten Schritt ins Totenreich zu gehen. Ihr Körper schien sich in Pudding zu verwandeln und gleichzeitig strebte ihr ganzes Sein ihm entgegen. Sie
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