Der Zauberspiegel
Körper, der zwischen den Büschen lag wie weggeworfener Müll. Aran entdeckte die Leiche des Soldaten ebenfalls. Mit wenigen Schritten war er bei dem Toten und kniete sich neben ihm nieder.
»Ist er tot?«, erkundigte sich Kalira überflüssigerweise.
»So tot, wie man nur sein kann«, bestätigte Aran mit zufriedenem Unterton. Seine Lippen hatten sich zu einem leichten Lächeln verzogen. »Man sollte nie Beeren essen, die man nicht kennt.« Er deutete auf einen Busch mit dunkelblauen Früchten.
Schaudernd sah Juliane seine Miene und fragte sich, was Aran erlebt haben mochte, dass er so mitleidslos und beinahe befriedigt die Leiche eines anderen Menschen betrachtete. Er musste doch verstehen, dass die Soldaten nicht freiwillig so waren! Gerade er!
Halte dich fern, ich besitze kein Herz, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf.
Juliane erschrak. Es war kein Gedanke von ihr gewesen, sondern eine Botschaft, die ihr jemand hatte zukommen lassen.
Mit einem Ruck drehte Aran sich um und fixierte sie. Sie erkannte in seinen Augen eine Kälte, die sie frösteln ließ. Hatte er ihre Gedanken gelesen?
Sie sah ihn fest an. O doch, Aran, du hast ein Herz! Und ich werde dir beweisen, dass ich recht habe! Sie wusste nicht, ob ihre Gedanken ihn erreicht hatten, doch mit einem Mal erfüllte ihren Kopf ein Gefühl ähnlich dem, wenn man nahe vor einem Spiegel stand und darauf hauchte. Eine Empfindung, als würden ihre Gedanken zurückgeworfen, ausgesperrt. Sie schluckte. Beherrschte Aran Telepathie?
Ausdruckslos wandte er sich wieder dem Toten zu. Sie wusste nicht, ob sie ihn tatsächlich erreicht hatte, sein Benehmen gab darüber keinen Aufschluss.
Das Gesicht des Toten war bläulich verfärbt und aufgedunsen. Die Augen quollen aus den Höhlen. Die in Todesangst erstarrten Züge erzählten von seiner qualvollen Agonie mit nicht enden wollenden Schmerzen, die sich ein Lebender nicht einmal in seinen schrecklichsten Albträumen vorstellen konnte. Schaudernd wandte Juliane ihren Blick ab.
Aran nahm den Helm der Leiche, der unter einem Busch lag, und warf ihn Ranon zu. Dann machte er sich an den Verschlussriemen der Rüstung zu schaffen.
»Weshalb ziehst du ihm die Uniform aus?« Juliane bekämpfte die aufsteigende Übelkeit.
Aran musterte sie. Forschend glitt sein Blick über ihre lädierte, blaue Gesichtshälfte. »Wir können sie vielleicht gebrauchen«, erklärte er schließlich und erhob sich.
Ranon befestigte die Rüstung an seinem Sattel. Aran packte die Leiche und zog sie tiefer ins Unterholz. Kalira entfachte ein Lagerfeuer und holte ihre Essensvorräte hervor.
Juliane setzte sich zu ihnen. Der Anblick der entstellten Leiche hatte ihr den Appetit verdorben, doch sie wusste, dass sie bei Kräften bleiben musste, und nahm sich von dem harten Brot und dem Trockenfleisch, dessen Konsistenz an Leder erinnerte, doch das lange gekaut schmackhaft und weich wurde. Ranon kam ebenfalls ans Feuer und musterte Kalira intensiv. Sie tat, als bemerkte sie seine Aufmerksamkeit nicht.
Nachdem Torus sich ein wenig abseits niedergelegt hatte und eingeschlafen war, hob Kalira ihren Kopf und begegnete Ranons Blick herausfordernd. Sie hatte offensichtlich nur darauf gewartet, dass Torus sie nicht mehr einbremsen konnte.
»Warum starrst du mich an?«, fragte sie.
Ihre grünen Augen wirkten im Feuerschein wie mit Gold gesprenkelt und Ranon erwiderte ihren Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Juliane beobachtete die beiden.
Ranon schüttelte den Kopf und wandte sich seinem Essen zu.
Juliane starrte die beiden an. Dann zuckte sie mit den Achseln. Die zwei beachteten sie nicht, also konnte sie auch sitzen bleiben. Zudem mochte es notwendig werden, dass sie den beiden Einhalt gebot, wenn sie sich in die Haare gerieten. Kalira hatte sich als stolz erwiesen und Juliane vermutete, dass Kaliras Hochmut sie hinderte, sich einzugestehen, dass sie Ranon ganz gern hatte. Ihre Dünkel ließen nicht zu, dass sie sich nach all den Jahren diese Blöße gab. Obwohl Juliane glaubte, dass etwas zwischen den beiden vorgefallen war, das die Situation entspannte.
Ich bin so verwirrt! All die Jahre hatte ich meinen Zorn auf Ranon als Ausrede und jetzt ist alles anders.
Das war es also! Kalira hatte doch ihre Gefühle für Ranon wiederentdeckt.
Kalira warf Ranon einen gequälten Blick zu, wandte sich an Juliane und drückte ihr die letzten Bissen ihres Fleischstreifens in die Hand. »Ich brauche dringend Schlaf.« Juliane blinzelte, überlegte, ob sie mit
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