Der Zauberspiegel
fühlte den Widerhall ihres Pulses in der Kehle.
Sie hatte ihre fehlende Hälfte gefunden. Wie ein Magnet zog es sie zu ihm hin. Sie war er und er war sie. Sie sollten Eins werden. Juliane bewegte sich auf ihn zu und spürte, wie Kalira sie am Ärmel ergriff.
Er wandte seinen Blick ab und Juliane fühlte sich zurückgestoßen.
»Du bist ein Halbmorvanne«, stellte Torus fest.
Juliane hörte nur mit halbem Ohr zu. Ihr Körper summte und schien energiegeladen wie nie zuvor.
»Macht das einen Unterschied?«, sagte der Fremde und ein bitterer Unterton schlich sich in seine Stimme. »Ich bin auf eurer Seite. Sie weiß es.« Er deutete auf Kalira.
»Warum bist du uns gefolgt?«, fragte Torus.
»Ihr kämpft gegen die Tyrannei der Todesreiter ebenso wie ich. Ich will mich euch anschließen.«
»Das sollen wir dir glauben? Du trägst die Uniform und nie verlässt ein Soldat sein Heer. Natürlich könntest du die Rüstung gestohlen haben. Aber warum? Ich glaube, das Ganze ist eine Falle.« Torus blieb argwöhnisch.
»Wir könnten Iorgen fragen, aber er würde mich wahrscheinlich sofort hinrichten, wenn er mich in die Finger bekäme«, erklärte der Halbmorvanne spöttisch.
»Iorgen kennt dich?«, vergewisserte sich Kalira.
»Er hat mich zu seinem persönlichen Feind erklärt.« Ein feines Lächeln umspielte die Lippen des Kriegers.
»Nimm ihm die Fesseln ab«, sagte Kalira.
Torus nickte und Ranon durchschnitt das Lederband. Der Soldat hob seine Hand und rieb sich demonstrativ den Hals. Er legte seine Rüstung ab, und als er sie am Sattel seines Pferdes befestigt hatte, wandte er sich wieder ihnen zu. »Was ist nun? Darf ich euch begleiten? Niemand kennt das Tal und seine geheimen Pfade besser als ich.«
»Du bist das Phantom, auf das die Schwarzen ein Kopfgeld ausgesetzt haben«, erkannte Ranon.
Erneut legte sich das dünne Lächeln auf die Lippen des Todesreiters. »Haben sie das?«, fragte er und seine Lippen kräuselten sich merklich zu einem amüsierten Grinsen.
»Wir müssen das unter uns bereden«, erklärte Torus und bedeutete ihnen, ihm zu folgen.
Der Halbmorvanne zuckte die Achseln und wandte sich seinem Proviantbeutel zu.
»Was meint ihr?« An Torus’ Gesicht konnte man allzu deutlich ablesen, dass er dem Todesreiter misstraute. »Vielleicht ist es wirklich eine Falle, zuerst wiegen sie uns in Sicherheit, und sobald wir dem Jungspund vertrauen, lässt er uns in die Schwerter seiner Spießgesellen laufen.«
»Seine Uniform sieht nicht so aus, als wäre er tatsächlich noch ein Soldat«, erklärte Ranon.
»Er ist ein Morvanne«, gab Kalira zu bedenken.
Torus schnaubte. »Als ob das ein Leumundszeugnis wäre!«
»Er hat mich gerettet. Ich glaube ihm«, entgegnete Kalira.
»Wir können ihm vertrauen.« Juliane entschlüpften die Worte, noch ehe sie darüber nachgedacht hatte. »Denkt an die Prophezeiung: Einer, der vorgibt zu sein, was er nicht ist. Er scheint ein Todesreiter zu sein, oder?« Ihr Traum kam ihr in den Sinn, der, in dem die Soldaten vergiftet wurden, um Kloob hörig zu sein. Die Augen all dieser Männer waren leer. Sahen das die anderen nicht? Der Blick des Morvannen mochte kalt wirken, doch in seiner Seele ruhte eine Fülle an Emotionen.
Kalira starrte den jungen Soldaten an. Ihre Gedanken ließen sich leicht erraten und Eifersucht flammte in Juliane auf. »Ob alle Morvannen so aussehen wie er?« Kalira riss ihren Blick von ihm los und zwinkerte Juliane zu. »Was meinst du?«
Juliane entschied, nicht auf die Bemerkung einzugehen.
»Er sollte sich uns anschließen. Und sei es nur, damit wir ihn im Auge behalten können«, meinte Ranon.
»Ich stimme dir zu, Ranon. Besser den Feind vor der Nase als im Rücken.« Torus ging zu dem jungen Soldaten. Er schien zu spüren, dass sich Torus ihm näherte, denn er drehte sich um.
»Du darfst mit uns kommen«, verkündete Torus.
Der Halbmorvanne nickte. »Danke.«
Juliane trat auf ihn zu und lächelte. »Ich bin Juliane. Wie heißt du?«
Forschend blickte er ihr ins Gesicht. »Ich bin … Mein Name ist Aran.«
Sie schwangen sich auf ihre Pferde. Juliane beobachtete Aran. Sie war von ihm fasziniert und überlegte, wie er dem Zauber Kloobs widerstanden hatte und was ihn dazu gebracht haben konnte, als abtrünniger Todesreiter durch das Morvannental zu ziehen.
Als spürte er ihren Blick, wandte er sich ihr zu und schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln. Ob er ahnte, dass sie ihm im Traum schon begegnet war?
8. Kapitel – Ein neuer
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