Der Zauberspiegel
Rücken. Sie verlor den Halt. W ährend sie stürzte, überkam sie Panik, doch die erlösende Besinnungslosigkeit folgte nicht. Sie erwartete den schmerzhaften Aufprall auf dem Boden, fiel jedoch stattdessen in ein Meer. Sie kämpfte sich mühsam an die Oberfläche. Nachdem sie angestrengt nach Luft gerungen hatte, erfasste sie, dass sie in einem Ozean aus Blut schwamm.
Der Wind strich wie eine streichelnde Hand über die Meeresoberfläche und trug eine sanfte, schmeichelnde Stimme an ihr Ohr: »Es ist deine Schuld. Ganz allein deine Schuld!«
Juliane hielt sich die Ohren zu, gleichzeitig kroch die Eiseskälte des Wahnsinns durch ihren Kopf. Sie schrie. Sie schrie und schrie, bis sie glaubte, ihre Lunge müsste platzen.
Als ihre Zunge die Lippen befeuchtete, hatte sie den salzigen Geschmack von Tränen im Mund. Sie wischte mit dem Handrücken über ihr Gesicht und überzeugte sich mit einem Blick in die Runde, dass ihre Freunde friedlich schliefen.
Da erkannte sie, dass in dieser Nacht nicht nur sie ein Albtraum quälte. Unruhig warf Aran sich hin und her, stöhnte und murmelte leise vor sich hin.
Einen Moment überlegte sie, ob sie versuchen sollte, weiterzuschlafen. Doch dann siegte ihre Neugier. Aran würde nie gestehen, dass er schlecht träumte. Vielleicht würde sie aus seinem Geflüster etwas über ihn erfahren. Wenn er schon so freundlich war und im Schlaf redete, durfte sie sich erlauben, ihm zu lauschen.
Sie näherte sich Aran leise und beugte sich über ihn.
»Vater … Mutter … Taleen … bleibt! Rache … die Todesreiter … der Einarmige.« Er gab unzusammenhängendes Gestammel von sich, aus dem sie nicht schlau wurde.
Juliane wollte sich davonschleichen, da packte er sie und hielt sie mühelos fest. Erfolglos wand sie sich in Arans eisernem Griff. »Lass mich los«, zeterte sie flüsternd und zappelte heftig. »Meine Güte, du bist stark wie ein Ochse, kein Grund, sich wie einer zu benehmen.«
Aran schlang seinen anderen Arm um ihre Taille und zog sie an sich, sodass sie seinen muskulösen Brustkorb an ihrem Rücken spüren konnte. Ihr Herz pochte schneller.
»Was hattest du vor?«, fragte Aran dicht an ihrem Ohr.
»Du hast im Schlaf geredet.«
»Du hast mich belauscht?«
»Ja, es wäre unhöflich, dir nicht mein Ohr zu leihen, wenn du schon plauderst«, entgegnete sie trotzig. »Jetzt lass mich los! Oder …« Sie hoffte, er würde ihre Drohung auch ohne weitere Erklärungen verstehen. Als Aran keine Anstalten unternahm, sie freizugeben, wollte sie sich aus seiner Umklammerung winden. Nach ein paar erfolglosen Verrenkungen hielt sie inne. Eigentlich sollte sie es ausnutzen. Wann bekäme sie erneut die Gelegenheit, sich in einer Umarmung mit ihm zu finden? Ihr Körper befand sich in angenehmem Aufruhr und Arans Brustkorb presste sich an ihren Rücken. Er schien nicht zu merken, dass ihre Intention sich verändert hatte. Sie fühlte seinen Herzschlag und sein warmer Atem wehte an ihrem Nacken vorbei über ihre Wange. Sie war noch nie geküsst worden und fragte sich, wie es wohl wäre, von Aran geküsst zu werden. Ein kaum merklicher Ruck ging durch seinen Körper und sie ahnte, dass er den Körperkontakt unterbrechen wollte.
Nicht gewillt, dies ihm zu überlassen, warf sie sich herum und schlug mit der flachen Hand nach ihm. Aran erwischte ihren Arm und zog daran. Juliane verlor das Gleichgewicht und purzelte auf ihn.
Sie spürte erneut seine Muskeln und die Wärme seines Körpers. Arans Geruch mischte sich mit dem Duft von Leder und Pferd. Ein Kribbeln bemächtigte sich ihres Körpers und zusammen mit Hitze und Zittern löste es unterschiedlichste Empfindungen aus. Das Atmen fiel ihr schwer, und als sie in Arans Augen blickte, spürte sie den Wunsch, sich über ihn zu beugen und … oje! Doch er lag nur da und starrte sie an, und so wagte sie es nicht, zu tun, wonach es sie verlangte. Aber sie war ihm näher als je zuvor und konnte in seinen Augen versinken. Sie fühlte sich für einige Momente wie im Himmel.
Verlegen erhob sie sich und hockte sich neben Aran.
Als er sich nicht rührte, blickte sie besorgt auf ihn hinunter. Noch immer lag er da und fixierte sie aus seinen unergründlichen, braunen Augen.
»Es tut mir leid. Das wollte ich nicht«, erklärte sie und fühlte Reue über ihren Hieb. »Habe ich dich verletzt?«
Aran richtete sich auf und schüttelte den Kopf. Er schien nicht minder verwirrt als sie. »Warum hast du nicht geschlafen? Habe ich dich
Weitere Kostenlose Bücher