Der Zauberspiegel
Fußspuren folgte. Plötzlich spürte er ein Zittern, das die Steinformation zum Leben erweckte. Er sprang zurück und brachte sich hinter Bäumen in Sicherheit.
Große und kleine Felsbrocken fielen mit lautem Getöse den Berg herab und verschlossen wie von Zauberhand geführt den Höhleneingang. Als sich der Fels beruhigt hatte, trat Aran an den Schotterhaufen und legte seine Hand auf die Steine. Er spürte ein Kribbeln und Pulsieren und erkannte sofort, dass das Beben keine natürliche Ursache hatte.
Er kannte nur ein Wesen, das mit allen Mitteln seine Einmischung verhindern wollte und konnte.
»Asleena«, stieß er zornig hervor.
*
Der düstere Gang endete in einer gewaltigen Höhle, deren Wände, Boden und Decke unzählige Kristalle und Halbedelsteine übersäten. Die Grotte leuchtete und funkelte, als wären Abertausende Sterne dort gefangen und erhellten die Höhle mit sanftem Licht. Am anderen Ende der Höhle stand ein kunstvoller Thron aus weißem Basalt. Auf ihm saß eine Frau von überirdischer Schönheit.
Niemals zuvor hatte Juliane ein Wesen mit vollkommeneren Gesichtszügen gesehen. Ihr langes Haar, das wie ein Wasserfall über ihren Rücken fiel und den Boden streifte, schimmerte im Licht der Kristalle wie Seide. Sie besaß Ohren, die spitz zuliefen wie die einer Elfe. Die dunkle, glatte Haut bildete einen reizvollen Gegensatz zu den rubinroten Lippen und den blauen Augen, die von samtigen schwarzen Wimpern beschattet wurden.
Juliane erkannte in ihr die Königin der Morvannen, von der sie bereits geträumt hatte.
»Ich bin Asleena, die Hüterin der magischen Wasser, die man auch die Königin der Morvannen nennt.« Die Frau besaß eine klare helle Stimme. Die Stimme, die sie gerufen und geführt hatte. »Komm näher, Juliane.«
»Warum hast du mich gerufen?«, fragte sie. »Das warst doch du, nicht wahr?«
Asleena erhob sich von ihrem Thron und stand nun vor Juliane. Überrascht stellte sie fest, dass die Frau kaum größer war als sie selbst. Jetzt erkannte sie, dass die scheinbar ebenmäßige Haut von unzähligen, feinen Fältchen durchzogen war, und ihr schwarzer Haarschopf von silbrigen, hauchdünnen Strähnen.
Sie neigte lächelnd den Kopf. »Du hast recht, ich war es, die dich drängte, zu kommen. Verzeih mir, doch wir haben nur wenig Zeit.« Asleena schlenderte durch die Kristallhalle. In der Mitte der Höhle stoppte sie und drehte sich um. »Ich rief dich, weil du meine Hilfe brauchst.« Die Kristalle wirkten wie Verstärker und Asleenas Stimme hallte wie Donnergrollen.
»Ich wüsste nicht wozu.«
Asleena näherte sich, sodass ihre nächsten Worte leiser und angenehmer für Julianes Ohren klangen. Asleena lachte leise. »Natürlich nicht. Woher auch? Aran wird dich und die anderen in eine Falle führen.«
»Nein!« Hatte Asleenas Stimme wie Donner geklungen, verwandelte sich Julianes lang gezogener Schrei in ein Tosen und Vibrieren, als der Schall verstärkt und zurückgeworfen wurde und Wände und Boden förmlich zum Wackeln brachte. Das Beben wirkte von ihren Fußsohlen bis hinauf zu ihrem Bauch. Wut brandete in ihr auf. Eben noch war sie willens, der Frau oder dem Wesen Glauben zu schenken, doch wenn diese Asleena ihr Lügen über Aran auftischte, war es mit ihrer Ehrlichkeit nicht weit her. »Ich vertraue ihm. Er ist unser Freund.«
Asleena hob beschwichtigend ihre Hand und fixierte sie. Juliane fiel förmlich in den Blick der Morvannenkönigin und fand sich inmitten einer ihrer Erinnerungen wieder.
Juliane befand sich in den Wäldern. Auf einer Lichtung stand ein Mann. Er wandte ihr den Rücken zu, so konnte sie nur erkennen, dass er langes schwarzes Haar besaß wie alle morvannischen Männer.
Asleena tauchte aus dem Wald auf. Sie schwebte wenige Handbreit über dem Boden. Juliane konnte sich nicht bewegen und der Morvanne vor ihr wandte sich ihr nicht zu. Zu gern hätte sie nachgesehen, wer es war. Aus Julian es Innerem stieg ein helles Summen auf, drang nach außen, wirbelte und tänzelte, wie von einer unhörbaren Melodie bewegt, um sich vor ihr als das bekannte silbrige Band darzustellen. Die Silberschnur glitt langsam wie eine Schlange von Juliane zu Aran, den sie nun zweifelsfrei erkannte, auch ohne sein Gesicht zu sehen.
»Asleena, was willst du von mir?« Der Stimme nach schien er jünger zu sein.
»Ich will nichts weiter, als mit dir reden«, bat Asleena und neigte den Kopf. Sie betrachtete ihn fragend.
»Lass mich in Frieden!« Er klang zornig.
»Das
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