Der Zauderberg

wetterten, sondern auch zahlreiche Morddrohungen erhielten, dachten nicht daran, ein Testament aufzusetzen. 13a
    Die Konsequenzen sind in jedem Land andere. Wenn Sie ohne Testament sterben, könnte Ihr Vermögen an den Staat fallen, an einen verhassten Bruder oder an Ihren Exmann, von dem Sie sich zwar getrennt haben, aber noch nicht geschieden sind (nicht zu vergessen dessen neue Partnerin). Ihr neuer Lebensgefährte, Ihre beste Freundin oder die Stiftung Ihrer Wahl könnte leer ausgehen, und Ihre Familienerbstücke könnten zu Schnäppchenpreisen verramscht werden. Das Gesetz bevorzugt meist Nachfahren vor Ahnen, weshalb Ihren Kindern im extrem verantwortungsbewussten Alter von achtzehn Jahren Ihr gesamtes Vermögen zufallen könnte.
    Ich kümmere mich um meine Gesundheit –
ab morgen
    Obwohl die Darmspiegelung eine wichtige Untersuchung ist, werden die meisten Menschen schon beim bloßen Gedanken daran nervös. Selbst eine Beschreibung, wie ich sie Ihnen gleich gebe, empfinden viele als unangenehm. Vor einer Darmspiegelung müssen Sie zunächst Ihren Dickdarm so gründlich wie möglich entleeren. Dazu müssen Sie in der Regel drei Liter eines starken Abführmittels trinken, bis das, was Sie ausscheiden, dem ähnelt, was Sie zuführen. Wenn Sie einen Einlauf benötigen, müssen Sie noch ein paar Liter zu sich nehmen, nur diesmal von der anderen Seite. Nachdem Sie also von oben und unten gut durchgespült sind, kann es losgehen. Sie fahren in die Klinik, ziehen einen Kittel an und erhalten ein Beruhigungsmittel. Sie sollten sich auf keinen Fall verkrampfen, wenn der Arzt Sie bittet, sich auf die Seite zu legen, und Ihnen das anderthalb Zentimeter lange Koloskop in den Hintern einführt. Üblicherweise wird Luft eingeblasen, um Ihren Dickdarm ein wenig aufzublähen und einen guten Rundumblick zu ermöglichen. Der Arzt sieht sich eine gute halbe Stunde lang in Ihnen um, und hinterher fühlt sich Ihr Hinterteil ein wenig schmierig an, aber das war’s.
    Ab einem Alter von fünfundfünzig Jahren oder vielleicht auch schon früher sollten Sie diese Darmspiegelungen regelmäßig durchführen lassen. Aber erstaunlich viele Menschen schieben die Prozedur auf, darunter auch Onkologen. Selbst mein Schwiegervater, der ein großes Wissenschaftszentrum leitete und es eigentlich besser wissen sollte, wartete zu lange. So unangenehm es auch klingt, wenn man es aufschiebt, wird es nur schlimmer: Die mögliche Konsequenz ist ein Tod durch Darmkrebs, der nach dem Lungenkrebs die meisten Todesopfer fordert. Aber im Gegensatz zum Lungenkrebs ist der Darmkrebs relativ gut behandelbar, vorausgesetzt natürlich, dass er früh genug entdeckt wird. Man unterscheidet vier Stadien, und mit jedem Stadium sinken die Überlebenschancen drastisch. Der Hauptgrund, warum sich Menschen nicht untersuchen lassen, ist die Aufschieberitis. Aus Angst, Unbehagen oder Scham schieben selbst intelligente Menschen die empfohlene Darmspiegelung auf. Katie Couric, ehemalige Nachrichtensprecherin von Today, verlor auf diese Weise ihren Mann. Mein Vater verlor seine zweite Frau. Als sie schließlich zum Arzt ging, war keine Darmspiegelung mehr nötig, denn man konnte den Tumor schon durch die Bauchdecke tasten. Mit ansehen zu müssen, wie sie unter der Pflege meines Vaters ein Jahr lang allmählich dahinsiechte, war vielleicht das Schlimmste und Tragischste, was ich je erlebt habe. Bei vielen Krankheiten, Infektionen, Geschwüren und Gebrechen ist eine frühe Diagnose und Behandlung entscheidend, doch das hindert uns nicht daran, den Gang zum Arzt aufzuschieben. Nach dieser Vorrede erstaunt es Sie vermutlich nicht, wenn ich Ihnen mitteile, dass Aufschieber zu den ungesundesten Menschen überhaupt gehören.
    Um noch ein wenig Salz in die Wunde zu reiben, will ich erwähnen, dass Aufschieber nicht nur die Behandlung hinauszögern, sondern dass sie mit größerer Wahrscheinlichkeit auch genau die Verhaltensweisen pflegen, die diese Behandlung überhaupt erst erforderlich machen. Aufschieber sind eine Risikogruppe, denn dank ihrer impulsiven Art sind sie besonders empfänglich für Laster und genießen die Freuden des Augenblicks, ohne an das spätere Leid zu denken. Andererseits sind sie den Tugenden weniger zugeneigt, also allem, was kurzfristig schmerzt und langfristig nutzt. Benutzen Sie zum Beispiel Zahnseide? Wenn Sie ein Aufschieber sind, dann nehmen Sie es sich vermutlich immer wieder vor, nur um es dann wieder zu vergessen. 22 Um besser zu verstehen, was