Der Zauderberg
dieses Versäumnis bedeuten kann, fragte ich meinen Zahnarzt nach dem schlimmsten Fall, der ihm je untergekommen war. Er erinnerte sich an einen Patienten, bei dem der Zahn unter dem Belag nicht mehr zu sehen gewesen war. Als er mir ein Bild zeigen wollte, lehnte ich dankend ab. Aber Aufschieber haben auch noch zahlreiche andere gesundheitsschädigende Angewohnheiten.
Wenn Sie ein hartgesottener Aufschieber sind, dann haben Sie vermutlich ein Päckchen Zigaretten in der Tasche. Immerhin sind es Tabak- und keine Haschzigaretten, obwohl Sie die vermutlich auch irgendwann mal geraucht haben. Und was passt besser zu einer Zigarette als ein alkoholisches Getränk, am besten hochprozentig. Aber nicht zu viele, denn Sie sollten auf keinen Fall beim Rauchen einschlafen, weil Sie den Feuermelder lange nicht überprüft und die Batterien nicht ausgetauscht haben. Und was Sie zu Abend gegessen haben, war vermutlich auch kein Salat, nicht bei den vielen Kalorien. Was erwarten Sie auch, wenn Sie es im Drive-Thru mitgenommen haben? Damit kommen wir zu Ihrem Fahrverhalten. Haben Sie eigentlich schon bemerkt, dass die meisten Leute es mit der Angst zu tun bekommen, wenn Sie hinterm Steuer sitzen? Das ist kein Grund, gleich zornig zu werden – obwohl Sie natürlich schnell zornig werden, oder? 23
Rauchen, übermäßiger Alkoholgenuss, Drogenmissbrauch, Leichtsinn, Übergewicht, riskantes Fahrverhalten, Jähzorn, ganz zu schweigen von Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern – das alles sind Aktivitäten, denen Aufschieber öfter nachgehen als andere. Impulsiv, wie sie sind, ist das Einzige, was sie nicht aufschieben, die Befriedigung. Wenn Sie nur die Hälfte dieser Laster pflegen, dann sind Sie nicht unbedingt ein Vorbild für einen gesunden Lebenswandel. Und wahrscheinlich werden Sie irgendwann die Quittung dafür bekommen.
Herr, mach mich fromm – aber bitte nicht gleich
Der heilige Augustinus lebte zwar im vierten Jahrhundert, doch er scheint auch heute noch so interessant zu sein, dass der Popmusiker Sting ihm ein Lied widmete. Vor seiner Bekehrung war Augustinus ein Anhänger der seinerzeit beliebtesten Religion des Mittelmeerraums, des Manichäismus, und er kannte die Sinnesfreuden besser, als man das von einem Heiligen erwarten sollte. Der Manichäismus war zwar gegen die Fortpflanzung – deshalb starb er schließlich auch aus –, doch gegen lustvollen Sex hatte er nichts einzuwenden, weshalb Augustinus und seine zahlreichen Geliebten ihm begeistert nachgingen. 24 Sein triebgesteuerter Lebenswandel erklärt, warum Augustinus der Schutzpatron des Biers beziehungsweise der Brauer wurde. Nachdem er sich im Jahr 386 dem Christentum zuwandte, hatte er seine liebe Not, sich aus den Armen der Frauen loszureißen. Sein berühmtestes Gebet war: »Herr, mach mich enthaltsam, aber bitte nicht heute!« Er schob das zölibatäre Leben auf und hatte das Gefühl, seiner Dickfelligkeit völlig zu erliegen. 14a Als er eines Tages in seinem Garten saß, hörte er, wie Gott ihn durch die Stimme eines Kindes aufforderte: »Nimm und lies!« Er nahm die Bibel, öffnete sie nach dem Zufallsprinzip und fand den Brief des Apostels Paulus an die Römer: »Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.« Diese Aufforderung schien direkt an ihn gerichtet zu sein, und er verstärkte seine Bemühungen um ein heiliges Leben.
Der heilige Augustinus war kein Einzelfall. 15a Die Weltreligionen gehen mit der Trägheit hart ins Gericht und sehen sie meist als ein Hindernis auf dem Weg zur Rettung oder Erleuchtung. 25 Ihre Haltung kommt nicht von ungefähr, denn wer das Gute aufschiebt, um sich der Sünde hinzugeben, der gefährdet sein Seelenheil.
Einer der zentralen Texte des Hinduismus ist die Mahābhārata und vor allem ein Abschnitt mit dem Namen Bhagavad Gita, eine Selbstoffenbarung des Gottes Krishna. 26 Im letzten Kapitel erklärt Krishna: »Wer fahrlässig, gemein und frech, heimtückisch, hinterlistig, faul, feig, saumselig ist – solch ein Täter gehört zum Reich der Finsternis.«
Im Islam wird das Aufschieben einer guten Tat als taswif bezeichnet. 27 Die Hadithen, die Gesetzbücher des Islam, breiten sich ausführlich über die Saumseligkeit aus und lassen kein gutes Haar an ihr. 28
Der Buddhismus sieht die Aufschieberei ähnlich, auch
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