Der zehnte Richter
sich die Liste der Verdächtigen anzuschauen. Plötzlich flog die Tür zur Toilette auf. Durch die Ritze zwischen der Türangel seiner Kabine und der Wand sah Ben eine Gestalt auf sich zustürmen. Brüllend schlug der Mann auf Bens Kabine ein: »Raus da, verdammt noch mal! Ich weiß schon, wer du bist!«
Panisch zerknüllte Ben den Brief und stopfte ihn vorne in seinen Hosenbund.
»Raus da, verdammt noch mal!« wiederholte der Mann. »Ich weiß schon, daß du mir nachspionierst!«
Ben bemerkte, daß die Stimme des Mannes leicht verschliffen klang. »Wer sind Sie?« fragte er.
»Du weißt ganz genau, wer ich bin!«
Ben trat mit seiner Aktentasche in der Hand aus der Kabine. Vor ihm stand ein schäbig gekleideter Stadtstreicher mit langem, schmutzigem Bart. Er war dabei, gegen die nächste Kabine zu hämmern. »Ich weiß, daß du da drin bist!« Ben ging auf den Mann zu.
»Gib mir 'nen Dollar!« Der Mann hielt Ben seine flache Hand unter die Nase.
Erleichtert, daß es sich weder um einen Marshai noch um eine Bedrohung handelte, klappte Ben seine Aktentasche auf und zog sein übliches Truthahn-Sandwich hervor. »Das ist zwar kein Dollar, aber -«
»Danke.« Der Mann packte das Sandwich. »Du bist 'n guter Mensch.«
Nachdem er durch die Sperren geeilt war, vermied Ben den Aufzug und lief statt dessen die Treppe zum Obergeschoß empor. Als er sein Büro erreichte, warf er die Aktentasche aufs Sofa, griff in seine Unterhose und zog den Brief heraus. Er glättete ihn, um ihn Lisa zu geben.
»Hoffentlich verlangst du nicht von mir, daß ich das anfasse«, sagte Lisa von ihrem Schreibtisch aus.
»Das hat mir jemand in der U-Bahn gegeben.« Bens Stimme raste vor Erregung. »Die Marshals haben angebissen!«
Lisa überflog DeRosas Botschaft, um sofort das Blatt umzudrehen und die Liste der Verdächtigen zu studieren. Auf ihr fanden sich die Namen von Lungen und Fisk, Nancy, einigen Assistenten und einer Anzahl anderer Angestellter am Obersten Gericht. Die ersten drei Namen auf der Liste waren die von Nathan, Ober und Eric. »Glaubst du, der Brief ist echt?« fragte Lisa, während sie zu Ben aufblickte.
»Was soll das heißen? Natürlich ist er echt.« »Ich frage bloß, weil alles so geheimnisvoll gehalten ist. Schließlich ist der Brief weder an dich gerichtet noch von irgend jemand unterschrieben. Womöglich stammt er sogar von Rick.«
»Er ist auf keinen Fall von Rick.« Ben riß ihr den Brief wieder aus den Händen. »Er ist von den Marshals.«
»Hey, wenn du zufrieden bist, bin ich es auch«, sagte Lisa.
»Ja, ich bin zufrieden«, sagte Ben. »Völlig zufrieden.«
»Was hältst du von ihrer Liste?«
»Ich weiß nicht.« Ben las die Namen der Verdächtigen noch einmal durch. »Aber ich glaube nicht, daß meine Mitbewohner die Leute sind, über die wir uns den Kopf zerbrechen sollten.«
»Da bin ich mir nicht sicher«, sagte Lisa. »Wer sonst könnte Rick denn von unserem Plan mit den Jahrbüchern erzählt haben?«
»Wer weiß? Vielleicht die Leute in der Poststelle. Sie haben die Pakete schließlich entgegengenommen. Jedermann hätte sie untersuchen können, bevor wir sie abgeholt haben.«
»Vielleicht. Aber du wirst deinen Freunden doch nichts erzählen, oder?«
»Auf keinen Fall. Du hast den Brief ja gelesen. Ohne meine rückhaltlose Zusammenarbeit gibt es keine Vereinbarung. Wenn alles vorbei ist, werden meine Freunde sauer sein, weil sie nicht beteiligt waren, aber was sie nicht wissen, kann ihnen auch nicht schaden.« »Genau«, bestätigte Lisa. »Das ist -«
Bens Telefon läutete. »Moment mal«, sagte Ben und nahm den Hörer ab. »Hier ist das Amtszimmer von Richter Hollis. Was kann ich für Sie tun?«
»Tag, ich suche einen Alvy Singer.«
»Am Apparat«, sagte Ben zögernd, als ihm der falsche Name einfiel, unter dem sein Postfach registriert war.
»Tag, Alvy. Hier spricht Scott von Mailboxes and Things. Ich wollte Ihnen sagen, daß Ihre Zahlung für Ihr zweites Postfach wieder aussteht. Wir brauchen das Geld so schnell wie möglich, sonst müssen wir eine Inkasso-Firma beauftragen.«
Ben begriff, daß Scott über das von Rick eröffnete Fach sprach. »Das tut mir wirklich leid«, sagte er. »Es ist mir einfach entfallen. Wann muß ich die Zahlung denn leisten?«
»Hier steht, daß das Geld bis zum Monatsende fällig ist«, erklärte Scott. »Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, würde ich nicht zu lange warten. Wenn die Chefin ihr Geld nicht bekommt, konfisziert sie die Post, die
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