ist Witek vor allem als Hauptverdächtiger eines Mordes bekannt, der sich 1945 ereignete und dessen Opfer einer von Witeks Arbeitskollegen aus der Keramikfabrik war. Anlass für die Tat soll eine amouröse Dreiecksbeziehung gewesen sein, eine Annahme, die vom Eigentümer der Fabrik, Charles Randall Eisenmann, bestätigt wurde. Mr Eisenmann wurde bei der Tat ebenfalls verletzt und schwer entstellt. Der Mordfall ist bis heute nicht aufgeklärt, denn Witek tauchte unter. Sein weiterer Aufenthalt und sein Todesdatum sind unbekannt. Man nimmt jedoch an, dass er seinerzeit das Land verlassen und sich nach Kanada oder Israel abgesetzt hat.
Oha!
Ich las den Eintrag mindestens fünfmal hintereinander. Ein jüdischer Maler? Soweit ich wusste, gab es in Winter keineJuden. Aber der Nachname Witek war bestimmt nicht häufig. Bei dem Maler Witek musste es sich um den Vater ›meines‹ Witek handeln.
Ich rechnete nach. Der Mord lag fünfundsechzig Jahre zurück. Mordechai Witek war damals vierzig gewesen, demnach lebte er inzwischen nicht mehr. Und mein Mr Witek war … um die siebzig? Dann war er 1945 noch ein Kind gewesen.
»Papa«, flüsterte ich vor mich hin. Mordechai Witeks Sohn … David .
Wieder ein Punkt geklärt: Mordechai Witek war der Mann, der Mr Eisenmanns Gesicht so zugerichtet hatte.
Kein Wunder, dass Mrs Krauss darüber nicht sprechen wollte.
Ich klickte auf den Link zu Katarina bei Sonnenuntergang.
Das Gemälde war der Knaller. Mir war sofort klar, weshalb Witek seinerzeit mit Wyeth verglichen wurde. Die Frau – Katarina – lag auf einem grasbewachsenen Hang. Ich erkannte sogar die Stelle, weil rechts im Hintergrund die Scheune auf der Anhöhe stand. Links sah man ein zweistöckiges weißes Bauernhaus mit schwarzen Fensterläden, einer Wetterfahne und zwei Ziegelschornsteinen. Das Gemälde war also in der Nähe von Eisenmanns Scheune entstanden, als das zu der Hofanlage gehörende Bauernhaus noch nicht abgebrannt war.
Wie auf Wyeths Gemälde Christinas Welt wandte die Dargestellte dem Betrachter den Rücken zu. Doch das war auch schon die einzige Gemeinsamkeit. Statt in Richtung Haus zu blicken, betrachtete Katarina den letzten Abglanz der untergegangenen Sonne über der Anhöhe. Der abendlicheHimmel war von blau changierenden und fast unwirklich rosa Streifen durchzogen. Ihr Widerschein ergoss sich über die Wiese und die Liegende.
Katarina war übrigens splitternackt.
+ + +
Noch heute fällt es mir schwer, das Gemälde zu beschreiben. Man sah zwar Katarinas Gesicht nicht, aber vielleicht lag es an ihrer entspannten Haltung und der blonden Haarpracht, die ihren Kopf umfloss – jedenfalls musste ich an die berühmte Statue der heiligen Theresa von Bernini in Rom denken. Theresa ist im Zustand der Verzückung dargestellt, als ihr der Engel den Pfeil der göttlichen Liebe ins Herz bohren will. Mir fiel wieder ein, dass manche Kunsthistoriker behaupteten, um den Gesichtsausdruck der Heiligen hinzukriegen, hätte Bernini Frauen beim … na ja, beim Orgasmus studiert.
Auch die Frau auf Witeks Gemälde machte den Eindruck, als hätte der Maler sie beim Sex, beim Höhepunkt dargestellt – allerdings war das nur angedeutet, sodass die Vorstellungskraft des Betrachters gefragt war. Auf jeden Fall konnte ich nachvollziehen, dass Mordechai Witeks Zeitgenossen das Gemälde anstößig gefunden hatten. Witek spielte ganz ähnlich mit der Fantasie des Betrachters wie Rubens, nur dass er seine Fleischtöne mit reinem Rot akzentuierte.
Mir stach ein kleines Detail rechts unten ins Auge. Mit der Zoom-Funktion vergrößerte ich die Abbildung und erkannte einen sechszackigen Stern mit der Signatur MW in der Mitte und zwei Zahlen, einer über dem Stern und einer darunter. 3 und 9.
Ach so! Mordechai Witek hatte einen Davidstern um seine Anfangsbuchstaben gemalt. Anscheinend war er stolz darauf, dass er Jude war.
Noch etwas fiel mir auf.
Ich kannte die Dargestellte – und zwar von dem Porträt in Mr Witeks Zimmer im Altenheim, gleich rechts neben der Tür.
Auf diesem Gemälde trug sie einen Morgenmantel mit roten Chrysanthemen.
XVIII
Pling! Ich sah auf die Uhr. Sarah hatte sofort zurückgemailt.
An:
[email protected] Von:
[email protected] Betreff: Re: Recherche
Erst redest du zwei Jahre nicht mit mir, und jetzt sind wir auf einmal Brieffreunde oder was? LOL – wollte dich bloß ärgern. Klar können wir zusammen ins Stadtarchiv gehen. Ich will morgen nach der Schule hin, weil ich am