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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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betrachtete die Flaschen, und ein ungebetener Gedanke stieg in seinem Bewusstsein auf.
    Selbst die Reiter hatten die Gestalt von Personen, und Personen waren eitel. Zu wissen, wie man die Eitelkeit von Personen ausnutzte – das war eine ganz besondere Kampftechnik, und Lu-Tze beherrschte sie seit langer Zeit.
    »Ich wette, ich kann in Erfahrung bringen, wer du gewesen bist«, sagte er. »Ich wette, ich kann deinen wahren Namen herausfinden.«
    »Ha!«, erwiderte Ronnie. »Ausgeschlossen, Mönch!«
    »Ich bin kein Mönch, nur ein Kehrer«, sagte Lu-Tze gelassen. »Nur ein Kehrer. Du hast die Revisoren als Regeln bezeichnet, Ronnie. Es muss Regeln geben, nicht wahr? Regeln, an die sich alle halten.«
    »Ich befasse mich mit Milch und Milchprodukten«, betonte Ronnie noch einmal. Unter dem rechten Auge zuckte ein Muskel. »Und ich bringe auch Eier, wenn der Kunde es wünscht. Es ist ein gutes, sicheres Geschäft. Ich überlege mir, ob ich jemanden für den Laden einstellen soll.«
    »Warum?«, fragte Lu-Tze. »Es gäbe nichts mehr für ihn zu tun.«
    »Und vielleicht sollte ich die Sparte mit dem Käse ausbauen«, fuhr Ronnie fort, ohne den Kehrer anzusehen. »Es gibt einen großen Markt für Käse. Und vielleicht lege ich mir eine N-Mail-Adresse zu, damit man mir Bestellungen schicken kann. So gewänne ich sicher viele neue Kunden.«
    »Die Regeln haben gewonnen, Ronnie. Nichts bewegt sich mehr. Nichts ist unerwartet, denn nichts geschieht.«
    Ronnie starrte ins Leere.
    »Wie ich sehe, hast du einen Platz für dich gefunden, Ronnie«, sagte Lu-Tze tröstend. »Und du hältst ihn blitzsauber. Die anderen Jungs würden sich bestimmt darüber freuen zu erfahren, dass du, nun, gut zurechtkommst. Da wäre nur noch eine Sache, äh… Warum hast du mich gerettet?«
    »Was? Es war meine karitative Pflicht…«
    »Du bist der Fünfte Reiter der Apokalypse, Herr Soak! Und du sprichst von karitativer Pflicht?« Allerdings hast du schon seit langer Zeit die Gestalt eines Menschen, dachte Lu-Tze. Du möchtest, dass ich mehr herausfinde… Ja, du möchtest es. Tausende von Jahren auf diese Weise zu verbringen… Auf diese Weise hast du dich in dich selbst zusammengerollt. Du wirst die ganze Zeit heftigen Widerstand leisten, aber gleichzeitig hoffst du, dass ich deinen Namen aus dir heraushole.
    Ronnies Augen glühten. »Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten.«
    »Und ich gehöre zu deinen Angelegenheiten?«
    »Bei dir gibt es bestimmte… Aspekte, die die Mühe lohnten.«
    Sie musterten sich stumm.
    »Ich bringe dich dorthin zurück, wo ich dich gefunden habe«, sagte Ronnie Soak. »Das ist alles. Um den übrigen Kram kümmere ich mich nicht mehr.«
     
    Der Revisor lag mit offenem Mund auf dem Rücken. Gelegentlich gab er ein leises Geräusch von sich, wie das Wimmern einer Mücke.
    »Versuch es noch einmal, Herr…«
    »Dunkelavocado, Herr Weiß.«
    »Ist das wirklich eine Farbe?«
    »Ja, Herr Weiß!«, erwiderte Herr Dunkelavocado, der nicht ganz sicher war.
    »Versuch es noch einmal, Herr Dunkelavocado.«
    Mit offensichtlichem Widerstreben streckte Herr Dunkelavocado die Hand nach dem Mund des Liegenden aus. Die Finger waren nur noch wenige Zentimeter davon entfernt, als sich die linke Hand des liegenden Revisors wie ein eigenständiges Wesen bewegte, nach oben zuckte und sich um die Finger von Herrn Dunkelavocado schloss. Knochen knackten.
    »Ich spüre intensiven Schmerz, Herr Weiß.«
    »Was befindet sich in dem Mund, Herr Dunkelavocado?«
    »Allem Anschein nach handelt es sich um ein gebackenes, fermentiertes Getreideprodukt, Herr Weiß. Der intensive Schmerz dauert an.«
    »Ein Nahrungsmittel?«
    »Ja, Herr Weiß. Die Wahrnehmung von Schmerz ist an dieser Stelle wirklich sehr deutlich.«
    »Habe ich nicht verboten, Dinge zu essen oder zu trinken oder unnötigerweise mit den Sinnen zu experimentieren?«
    »Ja, das hast du, Herr Weiß. Das Gefühl von extremem Schmerz, auf das ich bereits hingewiesen habe, ist jetzt überaus akut. Was soll ich unternehmen?«
    Auch das Konzept von ›Befehlen‹ und ›Verboten‹ stellte etwas Neues für die Revisoren dar. Sie waren daran gewöhnt, Entscheidungen gemeinsam zu treffen, und auch nur dann, wenn absolut keine Möglichkeit mehr bestand, völlig inaktiv zu bleiben. Entscheidungen, die von allen getroffen wurden, waren Entscheidungen, die von niemandem getroffen wurden, was bedeutete: Es gab weder Verantwortung noch Schuld.
    Aber die Körper verstanden Befehle. Es

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