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Der Zeitenherrscher

Titel: Der Zeitenherrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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Freude der anderen nicht teilen. „Wie sollen wir ihn denn dort erreichen?“, fragte er. „Wie sollen wir ungesehen an all den Soldaten vorbei ins Lager gelangen? Das ist doch unmöglich!“
    Die Freude der anderen über die Entdeckung Moons wich schnell einer spürbaren Enttäuschung.
    „Es bleibt uns auch keine Zeit mehr dafür“, wandte Nin-Si ein. „Seht doch nur!“
    Das Gespräch des Colonels mit den Indianern war beendet. Einer der Lakota-Männer wandte sich um und redete auf dieFamilien zwischen den Tipis ein. Als Antwort ertönten wütende Schreie und verbitterte Rufe. Die Indianer protestierten laut gegen den Colonel und seine Männer. Doch schnell sahen sie ihre Niederlage ein, und der Erste trat nach vorn, spuckte in den Schnee und ließ dann seine Waffe auf den Boden fallen.
    „Sie werden bereits entwaffnet. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der erste Schuss fällt“, erinnerte Simon.
    „Bald wird der Schattengreifer erscheinen und Moon mit sich nehmen“, ergänzte Salomon. „Dann war alles umsonst.“
    „Aber wie sollen wir dort hinunterkommen?“, wiederholte Neferti. „Die Soldaten eröffnen das Feuer, bevor wir überhaupt den Fuß dieses Abhangs erreicht haben.“
    Weitere Indianer traten vor und warfen ihre Gewehre und Messer vor die Füße des Colonels, der mit eiserner Miene vor ihnen stand und die Männer zur Eile antrieb. Auch Moon war bald an der Reihe. Er trat an der Seite eines hoch gewachsenen Indianers vor den Colonel. Simon vermutete, dass es sich um Moons Vater handelte. Widerstrebend griff Moon sich an die Seite, zog das Messer hervor und legte es auf den Stapel Waffen vor den Soldaten. Sein Vater sagte noch etwas, dann legte er sein Gewehr dazu, und gemeinsam gingen sie wieder zurück zu ihrer Familie.
    Simons Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Wie konnten sie bloß zu Moon gelangen? Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, und allmählich machte sich Panik in ihm breit, hervorgerufen durch die grausame Erkenntnis, dass sie Moon nicht helfen konnten. Sie waren machtlos angesichts dieser Situation. Nur ein einziger Schritt auf das Lager zu würde sie in Lebensgefahr bringen.
    Schon hörten sie Colonel Forsyth’ Stimme über die Ebene hallen. Gerade hatte er den Befehl erteilt, die Indianer zu durchsuchen. Nur noch wenige Augenblicke, und er würde seine Soldaten beauftragen, die Zelte zu kontrollieren. Unmittelbar darauf musste der Schuss fallen, der das Massaker auslösen würde.
    Simon streckte in seinem Versteck eine Hand aus, gerade so, als könne er Moon erreichen. Dort stand der Indianerjunge, direkt vor ihren Augen. Und er war doch so unerreichbar fern, als stünde er auf einem anderen Kontinent.
    „Moon“, flüsterte Simon verzweifelt. „Verzeih uns, Moon!“
     
    Völlig außer Atem erreichte sie ihr Ziel. Endlich. Sie war angekommen.
    Mit einem Seufzer der Erleichterung nahm sie Platz und spürte, wie jeder Muskel in ihr sich dankbar entspannte. Sie reckte sich genüsslich, legte den Kopf zurück und atmete noch einmal zufrieden aus. Schon fielen ihr beinahe die Augen zu, und sie überlegte noch, ob sie nachgeben oder lieber zuvor noch etwas essen sollte, als sie mit einem Ruck beide Augen wieder aufriss.
    Doch plötzlich schüttelte es den kleinen Körper. Eine bange Gewissheit durchfuhr sie bis in die vordersten Flügelspitzen hinein: Sie hatte einen schweren Fehler begangen! Sie hatte die Gruppe im Stich gelassen. Und etwas tief in ihr ließ sie spüren, dass es vielleicht sogar schlimmer war, als sie ahnen konnte. Möglicherweise hatte sie alle in höchste Lebensgefahr gebracht.
    Sie hätte sich alle Federn ausreißen können in diesem Moment.
    Wie hatte sie nur so unbedacht handeln können? Warum nur hatte sie sich entfernt? Warum hatte sie sich zurückgezogen?
    Mit einem Ruck sprang sie auf, mit dem nächsten Ruck flog sie auch schon los.
    Vielleicht war es noch nicht zu spät.
     
    Simon schossen Tränen in die Augen. Er wollte seine Hand nicht mehr zurückziehen, streckte sie im Gegenteil sogar noch weiter aus. Als könne er seinem Freund wenigstens auf diese Art ein wenig beistehen.
    „Moon!“
    Die Anspannung, die rund um das Lager herrschte, war bis hier oben auf den Hügel spürbar. Es hatte den Anschein, als zittere sogar die Luft.
    Salomon war es, der die Frage stellte, die keiner bisher hatte aussprechen wollen: „Wo bleibt der Schattengreifer?“
    Der Magier hätte längst erscheinen müssen. Allen war bewusst, dass nur noch wenige Minuten

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