Der Zeitenherrscher
kaum einen Ton hervor: „Warst … Hast … Bist du das gewesen? Hast du gerade diese Menschen dort unten eingefroren?“
„Nein“, kam die Antwort hastig. „Ich habe die Zeit angehalten.“
„Du hast … was?“
Der Krähenkopf ruckelte hin und her. „Wir haben dafür jetzt keine Zeit. Rettet euren Freund!“
Salomon schaltete sich ein: „Du meinst, wir können jetzt einfach so da runtergehen und Moon mitnehmen?“
Die Krähe wurde immer ungeduldiger. „Ihr müsst beginnen. Los! Alle diese Menschen habe ich in ihre Zeit gesperrt. In diesen einen Moment, den ihr dort unten beobachtet habt. Doch der Zauber wird nicht allzu lange anhalten. Ihr solltet euch beeilen. Nur ihr könnt euch bewegen – und Moon mit seiner Familie.“
Simon sprang auf. „Los! Das ist die Chance, auf die wir gewartet haben. Lasst uns Moon da rausholen!“
Ohne ein weiteres Wort sprang er voraus und rannte hastig den Hang hinunter. Die Zeitenkrieger blickten sich erstaunt an, dann folgten sie Simon, so schnell sie konnten.
Es war gespenstisch, sich in der Ebene zu bewegen. Eine unheimliche Ruhe lag über dem Geschehen. Nicht einmal der Wind wehte mehr. Alles wirkte wie erstorben und dann auch wieder nicht. Die Menschen standen zwar wie in Totenstarre dort, doch gleichzeitig sahen sie lebendig aus.
Simon fühlte sich wie in einem Wachsfigurenkabinett. Aber er war sich darüber bewusst, dass diese Figuren jederzeit erwachen konnten und ab dem Moment sofort unüberlegt ihre Waffen einsetzen und wild um sich schießen würden. Die Krähe hatte für ihren Zauber den ungünstigsten und gefährlichsten Moment gewählt.
„Ich konnte nicht früher eingreifen“, gab sie leise mit ihrer krächzenden Stimme von sich. Gerade so, als hätte sie Simons Gedanken erraten. Sie saß auf seiner Schulter und blickte sichebenfalls verängstigt um. „Ich wollte den Zauber nicht einsetzen. Ich hatte gehofft, es würde nicht nötig sein.“
Simon wandte den Kopf zu ihr. „Wieso kannst du …?“
Ein Geräusch brachte ihn zum Schweigen. Sie hatten das Zelt erreicht, in dem sich Moon verbarg. Aus dem Inneren des Tipis erklangen unterdrückte Stimmen. Ein Mädchen weinte leise. Und jemand redete auf sie ein. Simon erkannte die tröstende Stimme sofort: Moon!
Vorsichtig streckte Simon eine Hand nach dem Büffelfell aus, mit dem der Tipi-Eingang geschlossen worden war. Doch in diesem Moment schoss Salomon an ihm vorbei. Hastig riss er das Fell zur Seite und sprang in das Tipi: „Moon!“
Das Weinen wurde zum Kreischen.
Beim Eintreten stießen die Freunde auf vier völlig verängstigte Indianer, die entsetzt auf Salomon blickten und sich mit dem Rücken gegen die Zeltwand drückten. In Moons Armen saß das Mädchen, das er zuvor mit ins Zelt genommen hatte. Noch nie hatte Simon einen solchen Blick gesehen wie in den Augen dieses Indianermädchens. Panisch vor Angst schaute sie auf die Eindringlinge. Sie traute sich nicht einmal mehr zu atmen.
Moon hielt beide Arme um sie geschlungen. Er versuchte zu verstehen, was hier vor sich ging. Ebenso wie die Frau und der Mann, die an seiner Seite saßen.
„Salomon, du machst ihnen Angst“, sagte Neferti leise.
Salomon ging noch einen Schritt auf Moon zu. „Aber …“
„Du machst ihnen Angst!“, wiederholte Neferti. „Hast du vergessen, dass Moon nicht wissen kann, wer du bist? Du bist ein Fremder für ihn. Wir sind in seiner Zeit. Er weiß nichts vom Seelensammler und von uns Zeitenkriegern.“
„Aber ich verstehe eure Sprache“, gab Moon plötzlich zur Antwort. „Wie kann das sein? Wer seid ihr?“
Simon musste auf einmal an Basrar denken und an den Tag in Karthago, an dem er Basrar genauso gegenübergestanden hatte wie jetzt Moon. Und wie damals wusste er nicht, was er antworten sollte.
Auch die anderen machten nur betretene Gesichter. Wie sollte man jemandem in aller Eile die Welt und die Gesetze des Schattengreifers erklären?
„Freunde“, sagte Simon schließlich. „Wir sind Freunde.“
Moon zog die Augenbrauen in die Höhe und erhob sich von seinem Platz. Das Mädchen klammerte sich noch immer Hilfe suchend an ihn.
„Deine Stimme“, sagte Moon. „Ich habe sie vorhin gehört. In meinem Kopf. Als diese Krähe auf meiner Schulter saß. Da habe ich deine Stimme gehört.“
„Ja“, gab Simon zu. „Das war ich. Und zum Glück hast du auf mich gehört und dich hier versteckt.“
„Aber wie war das möglich?“
„Es ist ein Zauber. Magie, die ich dir jetzt nicht erklären
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