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Der Zeitenherrscher

Titel: Der Zeitenherrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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struppige Haar, das hervorstehende Kinn und die dicken Augenbrauen. Doch dieser Junge dort war voller Panik. Er schrie und kreischte, dass es Simon schüttelte.
    Der Junge warf sich in den Sand, und wie von Sinnen schlug und trat er um sich. Und immer wieder stieß er Schreie aus.
    Dann erschien ein zweiter Junge, und Simon erkannte ihn sofort: Dieses Mal war es wieder der Schattengreifer in seinen jungen Jahren. Doch jetzt musste er etwas älter sein als in dem Augenblick, in dem er neben dem weisen Alten in der Höhle gesessen hatte. Mit einem sorgenvollen Gesichtsausdruck lief er zu dem Jungen, der sich noch immer kreischend am Boden wälzte. Er rief ihm etwas zu und packte ihn bei den Armen,worauf sich dessen Panik jedoch nur noch steigerte. Es brauchte eine lange Zeit, bis der Junge, der einmal als Schattengreifer Angst verbreiten sollte, dem verstörten Jungen dort die Angst etwas nehmen konnte. Schließlich jedoch setzte sich der völlig verstörte Junge auf und sah seinem Gegenüber mit einer Mischung aus Dank und Unsicherheit in die Augen.
    In diesem Moment verfinsterte sich der Himmel. In nur wenigen Sekunden versank die Sonne hinter den Bäumen am Strand. Sterne erschienen. Ein Lagerfeuer entstand vor Simons Augen, und ihm wurde bewusst, dass der heutige Schattengreifer, der noch immer hinter ihm stand, die Zeit auf der Leinwand schneller hatte vorlaufen lassen.
    Die Jungen saßen beide am Feuer, und die Flammen ließ ihre Schatten auf dem Sand tanzen.
    „Wer sitzt Euch dort gegenüber?“, fragte Simon, ohne den Mund zu bewegen. Und er zeigte auf den Jungen, den er noch vor wenigen Sekunden in seiner Panik beobachtet hatte.
    „Ein Junge aus meinem Stamm“, hörte Simon die Worte des Magiers in sich. „An diesem Nachmittag war er einem Säbelzahntiger begegnet. Und die Angst vor diesem riesigen Tier hatte ihm den Verstand genommen. Er tat mir leid. An dem Abend haben wir lange am Strand gesessen. Ich habe versucht, mit ihm zu sprechen. Ihn zu beruhigen. Doch dir ist natürlich bewusst, dass uns eine Sprache, wie wir sie heute benutzen, damals noch nicht möglich war. Dennoch: Ich redete auf ihn ein. Stunde um Stunde tat ich das.“
    „Aber – warum zeigt Ihr mir das?“, hakte Simon nach.
    „Sieh hin!“, ließ sich der Schattengreifer vernehmen, und der knochige Zeigefinger seiner rechten Hand schob sich nahe an Simons Gesicht vorbei und zeigte auf die Szene am Strand.
    Der jüngere der beiden Jugendlichen am Feuer wirkte noch immer verstört, ängstlich und unsicher. Doch es war ihm bereits anzusehen, wie gut ihm die Worte des älteren Jungen taten. Wie hypnotisiert starrte er in das Gesicht des späteren Schattengreifers und hing an dessen Lippen. Er sog die Worte regelrecht in sich auf. Er beugte sich nach vorn, um seinem Gegenüber näher zu sein.
    „Ich hatte ihm eigentlich nur helfen wollen“, setzte der Schattengreifer seine Rede in Simons Gedanken fort. „Doch was wirklich geschah, das hätte ich niemals vorhersehen können.“ Die Stimme des Magiers klang mit einem Mal mild, fast sanft. Das Schnarren, das sonst seine Stimme unverkennbar machte, war nicht mehr zu hören. Ruhig, beinahe verträumt, sprach er weiter: „Ich wollte den Jungen von seiner Angst befreien. Ich sprach auf ihn ein, versuchte, ihn seine Panik und die Erinnerung an die Begegnung mit dem Säbelzahntiger vergessen zu lassen. Und ich spürte, wie das, was ich ihm sagte, Wirkung zeigte. Er entspannte sich. Er ließ tatsächlich los von dem, was ihm Angst machte. Dann jedoch …“
    Simon bemerkte selbst, wie in der Szene, die er beobachtete, etwas vor sich ging.
    „Meine Worte machten den Jungen nicht nur ruhiger, er erschlaffte geradezu.“
    Simon nickte. Er sah, wie dem Jungen die Gesichtszüge entglitten. Er wurde blasser und blasser. Seine Schultern hingen herab, und er sackte in sich zusammen. Gerade so, als sei er mit offenen Augen und mit offenem Mund eingeschlafen.
    „Ich wusste nicht, was dort vor sich ging. Doch ich konnte nicht mehr aufhören. Ich wollte wissen, was da allein durch meine Worte geschah. Also sprach ich weiter auf ihn ein. MitWörtern, die ich selbst nicht kannte. Formeln strömten plötzlich aus mir heraus, die ich nie zuvor gehört hatte. Die Magie in mir erwachte in diesem Moment. Meine Kräfte, die seit Jahren tief in meinem Inneren geruht hatten, stiegen in mir auf, und ich ließ es geschehen. Doch bis ich bemerkte, was wirklich geschah, war es schon zu spät. Der Junge hatte sich

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