Der Zeitenherrscher
Verfolgern wurde größer und größer.
Adam hatte die Menschenmeute mit einem gewalttätigen, brutalen Tier verglichen. Allerdings, so dachte Simon jetzt, eineMasse von Menschen war vielleicht gefährlich wie ein Raubtier, sie war aber auch so träge wie ein Elefant.
Und deshalb schöpfte Simon Hoffnung, dass sie schon bald außer Gefahr sein könnten.
Wieder bog er um eine Hausecke und strahlte. „Seht ihr das?“, rief er den beiden Mädchen zu. „Ich kenne diese Ecke. Hier sind wir vorhin mit Adam gewesen. Dort vorn, hinter dem gelben Haus …“
„… befindet sich der Marktplatz!“, rief Nin-Si zurück. „Ja, ich erinnere mich ebenfalls.“
„Gut“, sagte Neferti erleichtert. „Von dort können wir den Weg gehen, den Adam uns gezeigt hat, und uns erneut auf die Suche nach Salomon machen. Vielleicht stoßen wir auch auf Moon und Caspar. Ich mache mir wirklich Sorgen!“
Simon rannte nun noch schneller. „Genau! Wenn wir denselben Weg einschlagen wie …“
Kurz vor dem gelben Haus prallte Simon heftig gegen die Brust eines Mannes, der dort stand, und verlor den Halt. Er stürzte zu Boden und sah an dem Mann hinauf. Über einem langen schwarzen Mantel war die Pestmaske zu sehen.
„Adam!“, rief Simon erleichtert aus. „Wie gut, Euch hier zu sehen.“
Neferti und Nin-Si halfen Simon auf die Füße. „Welch ein Glück“, sagte die Ägypterin. „Ihr seid also auch diesen Menschen entkommen.“
„Geht es Euch gut?“, fragte Nin-Si besorgt.
Hinter der Maske herrschte Schweigen. Dann hoben sich die Hände, die tief in den Ärmeln des Mantels versteckt waren, und griffen nach der Maske. Langsam wurde sie vom Kopf gezogen, die Ärmel von den Armgelenken gestreift, und aus dendrei Freunden wich jede Hoffnung, als sie den bleichen Schädel unter der Maske erblickten und die dünnen Fingerspitzen aus dem Mantel auftauchen sahen.
Die tiefen dunklen Augen des Schattengreifers blickten ihnen im Licht der Nacht entgegen.
Caspar und Moon mussten dem Mann und der Frau nicht lange folgen. Schon wenige Straßen weiter gerieten sie wieder mitten in eine aufgebrachte Menge. Die gesamte Stadt schien in dieser Nacht auf den Beinen zu sein, angetrieben von der blinden Wut auf die jüdischen Mitbewohner. Aggression und Hass beherrschten den ganzen Ort.
„Hier!“, schrie der Mann plötzlich dem aufgebrachten Pöbel entgegen, während er mit einer Hand gegen die Tür eines Hauses schlug. „Hier lebt auch ein verdächtiger Jude! Ich bin mir sicher, dass Jacob …“
Seine Worte gingen im Geschrei der Menge unter. Es brauchte nicht einmal Lügen, um die Menschen gegen die Juden aufzubringen. Allein die Erwähnung eines weiteren Juden reichte ihnen bereits aus.
Caspar und Moon suchten sich Schutz hinter einer Mauer und beobachteten, wie innerhalb von Sekunden die Tür aufgebrochen wurde und mehrere Männer in das Haus stürmten, um kurz darauf einen Mann und eine Frau herauszuzerren, die völlig verwirrt um sich schauten und versuchten, die Lage zu verstehen. An dem hinterhältigen, zufriedenen Grinsen im Gesicht der Frau, die Caspar und Moon von der Scheune bis hierher verfolgt hatten, konnten sie ablesen, dass es sich bei dieser Familie um Jacob und seine Frau handeln musste.
Ihr Komplize schlug nun gegen die Tür eines anderen Hauses. „Und hier wohnen ebenfalls Leute, bei denen wir davon ausgehen, dass sie in unsere Brunnen …“
Das gleiche Bild: Geschrei, eingetretene Türen und hasserfüllte Männer, die eine ganze Familie auf die Straße warfen.
„Sieh doch nur!“ Caspar wies auf einen Jungen, der hinter seinem Vater auf das Straßenpflaster fiel. „Salomon!“
Das Lächeln der intriganten Frau wurde immer breiter. Ihr Plan schien aufzugehen.
„Raus aus der Stadt!“, kreischte sie. „Ins Feuer mit ihnen!“
Und unter lautem Jubelgeschrei wurde der völlig verstörte Salomon mit seiner Familie durch die Straße gezerrt, unmittelbar an den Augen seiner beiden Freunde vorbei, die in diesem Moment machtlos das Geschehen mit ansehen mussten.
Simon fand nur langsam seine Fassung wieder. „Ihr seid hier? Wie konntet ihr …“
„Glaubst du, es genügt, eine winzige kleine Krähe als Wachposten auf dem Schiff zu lassen?“, raunte der Schattengreifer. „Du unterschätzt mich, Simon.“
„Was ist mit Adam?“, wagte Neferti zu fragen und starrte auf die Pestmaske in den Händen des Magiers. „Was habt Ihr mit dem Arzt getan? Ihr habt ihn doch nicht etwa getötet, nur um an seine
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