Der Zeitenherrscher
Menschen“, stellte Caspar fest, und er sprang in die Höhe, um zu sehen, was weiter vorn vor sich ging. „Aus einer Seitengasse kommen weitere Leute mit ihren Fackeln“, berichtete er und sprang noch einmal in die Höhe. „Und … Nein! Sie bringen Simon und Neferti.“ Noch ein Sprung. „Nin-Si ist auch bei ihnen. Sie treiben sie an. Sie bringen sie ebenfalls vor die Stadt.“
Moon erschrak. „Das kann nur eines bedeuten“, sagte er, und Caspar nickte: „Sie sollen ebenfalls ins Feuer!“
Simon blickte hektisch um sich. Aus allen Straßen strömten Menschen auf sie zu und schlossen sich denen an, die Simon,Neferti und Nin-Si aus der Stadt trieben. Als sie den Wachposten passierten, der sie eingelassen hatte, zog über dessen Gesicht ein breites Grinsen. Aus seiner Tasche blitzte Nefertis Stirnband heraus. Für ihn war es ein guter Abend gewesen. Er hatte den Schmuck, und gleich würde er noch ein feuriges Erlebnis geboten bekommen, das ihm die Langeweile der Nacht vertreiben konnte.
Die Meute trieb die Freunde bis vor den Scheiterhaufen.
„Ins Feuer mit ihnen!“ Dieser Ruf wurde immer lauter. Dicht neben dem Scheiterhaufen stand bereits ein Mann mit seiner Fackel, bereit, das Holz zu entzünden, wenn die Jugendlichen darauf standen.
Nun wurden auch die beiden jüdischen Familien gebracht.
„Salomon!“, rief Simon aus. Es schnitt ihm tief ins Herz, seinen Freund hier zu sehen. „Es tut mir leid“, sagte er noch. Denn wieder waren sie alle gescheitert. Moon hatten sie nicht retten können, und zusammen mit Salomon sollten nun auch sie selbst ihr Leben verlieren. „Es tut mir so leid“, wiederholte Simon.
„Kenne ich dich?“, erkundigte sich Salomon überrascht.
Simon wunderte sich inzwischen nicht mehr über diese Frage. „Auch wenn ich dir fremd erschienen mag, ich kenne dich sehr gut“, sagte er nur. „Das musst du mir glauben.“
„Aber ich habe dich noch nie gesehen“, antwortete Salomon.
„Nicht hier. Nicht in dieser Stadt.“
Salomon ließ seinen Blick verständnislos über die grölende Menge schweifen. „Weißt du, was hier passiert? Was haben diese Menschen gegen uns? Glauben sie wirklich, dass wir für die Pest verantwortlich sind?“
Simon wollte ihm gerade antworten, als die Menschenmassen urplötzlich schwiegen. Der Anführer dieser Nacht war vorgetreten. Er baute sich vor den Gefangenen auf und verkündete: „Brüder! Schwestern! Es ist gelungen, die Schuldigen für unser
Unheil ausfindig zu machen. Und wir werden sie gleich ihrer gerechten Strafe zuführen. Seht diese acht Menschen, die hier stehen. Sie sind angeklagt, Krankheit in unsere Stadt gebracht und …“
„Wo bleibt der Prozess?“, unterbrach ihn plötzlich eine Stimme.
Der Mann blickte sich in der Menge um. „Wer spricht da zu mir? Trete vor!“
Die Menschen bildeten jetzt eine schmale Gasse in ihrer Mitte, und hervor trat – Caspar. Er fiel in seiner Kleidung kaum zwischen all diesen Menschen vor dem Stadttor auf.
„Was hast du gerade gerufen, junger Mann?“
„Wenn ihr sie beschuldigt, benötigt ihr einen Prozess“, gab Caspar unumwunden zur Antwort.
Freudig überrascht hob Simon den Kopf. Caspar und Moon waren ihnen gefolgt! Und wie schon so oft bewunderte Simon seinen Freund wieder einmal für seinen ungebrochenen Mut.
Auch der Anführer blickte Caspar mit einer Mischung aus Anerkennung und Skepsis an. „Du bist nicht von hier, oder?“, fragte er Caspar. „Ich bin der Bürgermeister dieser Stadt. Mein Wort genügt, um Recht von Unrecht zu unterscheiden. Und ich sage dir: Diese Menschen sind schuldig. Die Fremden haben Unglück über uns gebracht. Und diese fünf Juden dort haben unsere Brunnen vergiftet. Wir verfügen über genügend Zeugen, die das bestätigen.“
„Jawohl!“, kreischte eine Stimme aus der Menge. Caspar brauchte sich nicht nach ihr umzudrehen, um zu wissen, dass es wieder die Frau war, die er und Moon vorhin belauscht hatten. Sie konnte es wohl nicht erwarten, den Scheiterhaufen endlich brennen zu sehen.
„Und wenn ich das Gegenteil behaupte?“, wagte Caspar noch einen Vorstoß, doch der Bürgermeister winkte ab. „Dein Mut gefällt mir, junger Mann. Doch du kommst zu spät. Diese Menschen hier werden sterben für das, was sie uns angetan haben.“
Kalter Schweiß stand Simon auf der Stirn. Nur ein Wunder konnte sie jetzt noch retten. Doch es war keines in Sicht.
Plötzlich stieß ihm Neferti mit ihrem Ellenbogen in die Seite. „Dich kennenzulernen
Weitere Kostenlose Bücher