Der Zeitenherrscher
stundenlanger Folter, als sie unter all den Schmerzen keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatte, gab sie alles zu. Denkt doch bitte einmal …“
„Die Zeit des Denkens und des Redens ist vorbei“, widersprach der Mann mit dem Stock. „Heute Nacht wird gehandelt. Alles, was uns gefährlich erscheint, wird ausgemerzt. Und da gehört ihr ganz bestimmt dazu!“ Und damit holte er weit aus und schlug nach Caspar, der am nächsten vor ihm stand. Doch dank seiner Geschicklichkeit konnte sich der Junge blitzschnell ducken, drehte sich auf dem Absatz herum und trat dem Mann den Stock aus der Hand.
„He!“, herrschte der ihn an.
Im gleichen Moment wurde Caspar von hinten von der Frau gepackt. „Ich hab ihn!“, kreischte sie mit triumphierender Stimme, als Caspar sie in den Finger biss. „Ah, du missratener Bursche! Ich werde dich lehren …“
Nun stürmten auch die anderen vor. Caspar und Moon ließen sich auf die Erde fallen und krochen schnell zwischen den Beinen der Angreifer hindurch. Simon, Nin-Si und Neferti drehten sich um und liefen an Adam vorbei die Gasse entlang.
„Sollten wir uns verlieren, treffen wir uns auf dem Schiff!“, brüllte Caspar den beiden Mädchen und Simon noch zu, dann rannte er mit Moon davon.
Der Arzt stellte sich den Angreifern entgegen. „Haltet doch ein. Ihr begeht einen schrecklichen Fehler!“, hörte Simon ihn noch rufen, dann flüchtete er mit den beiden Mädchen um die Hausecke. Doch schon in der nächsten Sekunde blieben sie wieder stehen. Sie hatten die falsche Richtung gewählt. Sie warengeradewegs in eine Straße gelaufen, in der die Judenhatz bereits in vollem Gange war.
Vor einem hohen Fachwerkhaus stand eine Gruppe schimpfender Menschen. Fenster wurden eingeworfen, und Simon sah einen etwa gleichaltrigen Jungen, der jauchzend seine Fackel in das zerstörte Fenster warf. Sekunden später loderte das Feuer in dem Raum auf. Zwei Männer zerrten eine Frau an ihren langen Haaren aus dem Haus, wo bereits Mitglieder ihrer Familie von zwei Frauen und einem Mann mit Stöcken bedroht und in Schach gehalten wurden. Die Frau aus dem Haus wurde in Richtung der anderen Familienmitglieder gestoßen und von einem grauhaarigen Mann, den Simon für den Familienvater hielt, aufgefangen.
„Raus, ihr Pack!“, brüllte eine der beiden Frauen. „Wir räuchern euch aus! Und mit euch räuchern wir die ganze Pest aus! Ohne euch wird diese Stadt …“
Ihr Blick fiel auf Simon, Neferti und Nin-Si.
„Ja, wer seid ihr denn?“
Sofort hatten die drei die Aufmerksamkeit der ganzen Gruppe auf sich gelenkt.
„Juden sind das nicht!“, brüllte einer der Männer.
„Aber vielleicht deren Handlanger“, warf ein anderer ein. „Weg mit ihnen!“
Mit erhobenen Stöcken kamen sie auf die Freunde zugerannt. Simon, Nin-Si und Neferti wandten sich um und flüchteten wieder in die engen Gassen.
Caspar schrie auf und fiel der Länge nach auf die Erde. Moon blieb stehen und half ihm wieder auf die Beine.
„Mein Rücken!“, rief Caspar aus. „Der Knüppel dort …“
Der Mann, der Caspar seinen dicken Stock nachgeworfen hatte, kam bereits auf ihn zugelaufen. „Stehen bleiben, ihr!“
Caspar zog ein Messer aus seinem Gürtel und schleuderte es dicht an dem Gesicht des Mannes vorbei gegen den Bretterverschlag vor einem Fenster, wo das Messer steckenblieb. Doch das Manöver verfehlte seine Wirkung. Statt sich zu erschrecken, wurde der Mann nur noch wütender. Er zog das Messer aus dem Holz und warf es nun in Caspars Richtung. Allerdings fehlte ihm jegliches Geschick darin. Das Messer landete eine Armlänge neben Caspar auf der Erde. Schnell griff der Junge danach, während der Mann wieder mit lautem Gebrüll auf ihn zugestürzt kam.
Moon riss Caspar in die Höhe, und gemeinsam liefen sie, so schnell ihre Beine sie tragen konnten. Caspar erkannte aus den Blickwinkeln nur noch, wie Adam sich aus dem Griff von zwei anderen Männern befreien konnte. Simon und den beiden Mädchen war es offensichtlich schon gelungen, das Weite zu suchen.
Wieder hatte Simon die falsche Richtung gewählt. Abrupt blieb er stehen. Auch Neferti und Nin-Si hielten plötzlich inne. Nur wenige Schritte vor ihnen erblickten sie dieselbe Szenerie wie in der Straße zuvor. Wieder wurden Menschen aus ihren Häusern geschleift und beschimpft.
Und wieder wurden die Freunde entdeckt.
„Seht nur, dort!“, kreischte ein Mädchen.
Eine Gruppe von mindestens zwanzig Menschen wandte sich zu ihnen um. Doch dieses Mal
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