Der Zeitenherrscher
dem Ersten in der Herde nach.
Es dauerte nicht lange, und er hatte die Gruppe erreicht. Allerdings rannten die Menschen nicht mehr. Sie standen dicht beieinandergedrängt, grölten wieder und johlten, gerade so, als stachelten sie irgendwen an. Dabei war ihre Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet, das sich unmittelbar vor ihnen abspielen musste. Simon sah nur Köpfe und Rücken. Er konnte bei der Masse an Leuten nicht erkennen, was dort vorn geschah. Zu gern wäre er nach vorn, an die Spitze dieses Menschenauflaufs gerannt, doch er musste Acht geben, dass er nicht entdeckt wurde.
Er reckte und streckte sich, um irgendetwas zu entdecken, doch es war vergebens. Die Leute verstellten ihm die Sicht.
Da sah er einen Baum, dessen unterste Äste für ihn erreichbar schienen. Also rannte er auf den Baum zu und kletterte ein Stück nach oben.
Sein Herz setzte aus. „Neferti!“
Zwar sah er die Ägypterin nicht selbst, doch er sah Stöcke durch die Luft wirbeln. An der Spitze der Meute wurde auf jemanden eingeschlagen. Und Simon war augenblicklich bewusst, wen der Mob sich zum Opfer ausgesucht hatte.
Mit einem Satz war Simon von dem Baum herunter. In einem weiten Bogen umrundete er die Menschenmassen, um nach vorn zu gelangen.
Die ersten Zuschauer verließen bereits ihre Position, um zurück zur Stadt zu gehen. Sie hatten wohl genug gesehen.
Das Gejohle und Gekreische ebbte allmählich ab. Die Leute hatten tatsächlich genug. Immer mehr von ihnen wandten sich zum Gehen um. Bis ein lauter Ruf durch die Nacht hallte: „Seht nur, dort vorn, unsere Wache!“
Inzwischen war der Wachposten bei ihnen angelangt. „Sie sind weg!“, brüllte er. „Geflohen!“
Endlich kam wieder Bewegung in die Gruppe. Empört wandten sich alle zum Stadttor um, und augenblicklich lief die Horde Schafe nun in Richtung Stadtmauer, wo sich der Scheiterhaufen befand.
Simon verbarg sich hinter einem hohen Gebüsch und wartete, bis auch die Letzten gegangen waren. Dann rannte er zu der Stelle, an der er zuvor die Stockspitzen hatte wirbeln sehen.
Auf der Erde lag Neferti. Blut lief ihr über das ganze Gesicht.
Simon ließ sich neben ihr auf den Boden fallen. Er hob ihren Kopf an. „Neferti. Neferti, hörst du mich?“
Sie gab keinen Laut, keine Regung von sich.
Simon blickte in die Richtung der Stadt, von wo er aufgeregte Rufe und erboste Schreie hörte.
„Ihr habt sie erschlagen!“, rief er aus, und heiße Tränen strömten über sein Gesicht. Er sah wieder auf sie. „Neferti!“
Vorsichtig hob er sie auf. Es war zu gefährlich, hier zu verweilen. Was, wenn die Meute nun zurückkäme? Wenn sie doch noch ihr Feueropfer haben wollten!
Simon hob Neferti hoch und schleppte sich mit ihr an den nahen Wald. Im Schutz der Bäume und Büsche trug er sie um die Stadtmauer herum, nur wenige Schritte von der brüllenden Meute entfernt. Er hoffte nur, dass die Menschen sein verzweifeltes Schluchzen nicht hören konnten.
Caspar kletterte als Erster über die Reling und sprang auf das Schiffsdeck. Sein erster Blick galt der Zeitmaschine. Im oberen Glas der Sanduhr befand sich noch ausreichend Sand. Simon blieben also einige Stunden, um zum Schiff zu gelangen.
„Seht nur, dort! Die kleine Krähe!“ Nin-Si hatte jetzt das Deck betreten, und nun lief sie an den vorderen Schiffsmast.Der Vogel lag wie schlafend auf dem Deck, den Schnabel weit geöffnet.
Nin-Si nahm die Krähe vorsichtig in ihre Hände und streichelte sacht über das Gefieder.
Der Vogel kam zu sich. Er blickte sich um, versuchte zu sprechen, schaffte es aber nicht.
„Was ist geschehen?“, fragte Nin-Si. „Geht es dir gut?“
Noch einmal versuchte der Vogel zu reden, doch nur ein heiseres Krächzen kam aus seinem Hals.
Moon rannte in den Mannschaftsraum und kam mit einem Becher Wasser nach oben. Er gab der Krähe zu trinken.
Endlich fand sie ihre Stimme wieder: „Er hat mich verhext!“, krächzte sie gebrochen.
„Der Schattengreifer war hier?“, fragte Moon überrascht, doch die Krähe schüttelte den Kopf. „Das war nicht nötig. Durch die Augen der großen Krähe hat er mir seinen Zauber ins Gefieder geschickt. Er hat mich bewusstlos gemacht, noch bevor ich verstand, was mit mir geschah. Die große Krähe muss ihn gewarnt haben. Ich weiß nur nicht, wie. Sie hat das Schiff nicht verlassen.“
„Vielleicht braucht sie das nicht mehr“, gab Nin-Si zur Antwort. „Seine Macht ist so stark geworden, dass die alten Gesetze nicht mehr gelten. Er kann uns inzwischen
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