Der Zeitspieler
er ihr. »Miß Lela und ich haben noch ein paar Vorbereitungen zu treffen. Diese erzwungenen Heiraten mit Zwischnern sind natürlich ein wenig teurer«, wandte er sich an das Mädchen. Er und Lela verließen das Zimmer.
Cargill trat ans Fenster. Durch die Scheibe sah er den Schweber, der Carmean gehört hatte. Er war kaum dreißig Meter entfernt. Wenn ich hinein könnte, dachte er, wäre es ein leichtes, in ein paar Minuten von hier zu verschwinden. Dummerweise hatte Lela jedoch vorsorglich die Außentür verschlossen.
Plötzlich wurde ihm bewußt, daß die kleine Frau, die ihn an eine Maus erinnerte, neben ihm stand. »Ich weiß etwas«, flüsterte sie.
Cargill starrte sie an. Ihre habgierige Miene stieß ihn ab. Er schwieg.
Wieder flüsterte die Frau: »Ich habe mir heute vormittag die Nachrichten angehört.« Sie wartete nicht, bis Cargill darauf reagierte, sondern fuhr eilig fort: »Was geben Sie mir, wenn ich dem Alten sage, daß Carmean gegen diese Heirat ist?«
Das Rätsel ihres Benehmens war gelöst. Was er daraus erfahren hatte, warf kein sehr vorteilhaftes Licht auf dieses Predigerpaar der Zukunft. Er beschloß jedoch, nicht den Moralisten zu spielen. Hastig kramte er in seinen Taschen und streckte ihr den Inhalt entgegen. Vielleicht fand etwas davon ihr Gefallen.
Die Frau betrachtete enttäuscht Bleistift, Kugelschreiber, Schlüsselring mit Schlüssel, ein paar Silbermünzen und Brieftasche.
»Sonst haben Sie nichts?« fragte sie mißmutig. Plötzlich leuchtete ihr Gesicht auf. Sie tupfte auf Cargills Armbanduhr. »Was ist das?«
Cargill nahm die Uhr ab und hielt sie der Frau ans Ohr. »Sie zeigt die Zeit an«, erklärte er ihr. Er fragte sich, ob die Schweber tatsächlich nicht wußten, was eine Uhr war. Er konnte sich nicht entsinnen, weder im Schiff der Bouvys, noch in Carmeans, einen Zeitmesser gesehen zu haben.
Verächtlich schnaubte sie: »Ich habe von diesen Dingern schon gehört, aber wozu sollen sie gut sein? Die Sonne geht am Morgen auf und am Abend unter, das genügt mir.«
Cargill hatte schnell gelernt. Er nahm ihr eilig die Uhr, nach der sie gegriffen hatte, wieder ab. »Wenn sie auch Ihnen nichts sagt, mir ist sie von Nutzen«, brummte er. »Und jetzt möchte ich gern einiges von Ihnen erfahren.«
»Von mir erfahren Sie nichts.«
»Oh, Sie werden reden«, versicherte ihr Cargill. »Oder ich erzähle Ihrem Mann, was ich Ihnen gegeben habe.«
»Sie haben mir doch gar nichts gegeben.«
»Das können Sie ihm klarmachen.« Cargill grinste.
Die Frau zögerte. »Was wollen Sie wissen?« fragte sie mürrisch.
»Was haben Sie in den Nachrichten gehört?«
Das gefiel ihr schon besser. »Carmean sagt, Sie müßten festgenommen werden. Sie sagt, die Schatten wollen Sie haben. Sie sagt, Sie dürfen auf keinen Fall ein Schwebermädchen heiraten.« Die Frau verzog abfällig das Gesicht. »Ich habe Carmean nie gemocht!« erklärte sie heftig. »Wenn ...« Hastig zog sie sich zurück.
Lela und der Prediger kamen ins Zimmer. Das Mädchen war bleich, der Mann wütend.
»Nichts zu machen!« knurrte er. »Sie will mir nicht genügend bezahlen.«
»Dann leben wir eben in Sünde zusammen«, erklärte Lela trotzig. »Sie hatten Ihre Chance.«
»Wenn Sie es wagen sollten, in Sünde zu leben«, donnerte der Prediger, »werde ich den Zorn Gottes auf Sie herabbeschwören.«
Lela zupfte Cargill am Ärmel. »Er wollte, daß wir unser Schiff gegen ein altes Wrack eintauschen. Komm, gehen wir.«
Cargill folgte ihr. Er wußte nicht so recht, wie er sich nun verhalten sollte. Er dachte an seine früheren Überlegungen über Religion und »Prediger«, und obgleich dieser Vorfall jetzt seine Meinung noch bestätigte, wollte er sich doch auf keine Weise davon beeinflussen lassen. Erstaunlich fand er allerdings, daß sowohl Lela als auch »Henry« die Macht des Predigers als gegeben hinnahmen. Beide schienen überzeugt, daß das Seelenheil etwas mit ihrer Ansicht von Moral zu tun hatte, und daß eine Bestrafung der Seele möglich war.
Angenommen, dachte Cargill, es gibt die Seele tatsächlich. Aber es war schwer, sich vorzustellen, daß sie jemals mehr als nur vage erkannt worden war. Die Menschen waren zu starr in ihren Ansichten. Nur zu häufig wurde die gewaltige Macht der Staatsmaschinerie dazu benutzt, dem Volk einen bestimmten Glauben aufzuzwingen. Wehrte ein Mensch sich dagegen nicht lediglich in Auflehnung gegen diesen Zwang, dann gewöhnlich, weil er von einer Wesenheit der Seele überzeugt war.
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