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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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zurück. Etwas Schweres und Dunkles lastete auf mir, und ich schaute wieder zur Decke in der halben Erwartung, es dort sehen zu können.
    Derek wippte weiter mit seinem Billardstock und hatte dann einen Einfall. Er zog scharf den Atem ein und rief über seine Schulter, »He, Chas! Greg! Kommt und helft mir, den Schlappschwanz hier zum Lachen zu bringen.« Er lächelte und zwinkerte mir dabei zu, als sollte ich bei dem Witz auch mitmachen. Chas und Greg tauchten zu beiden Seiten von Derek und etwas hinter ihm auf.
    »Los«, sagte Derek, »ein großer Lacher, oder ich sag’s deiner Schwester.« Ihre Gesichter wurden größer. »Oder ich laß dir von Greg einen von seinen Witzen erzählen.« Chas und Greg lachten. Jeder wollte sich mit Derek gut stellen.
    »Haut ab!« sagte ich. Chas sagte, »Ach, laßt den Burschen in Ruhe«, und ging weg. Über seinen Ton dabei hätte ich am liebsten geweint, und um ihnen zu zeigen, daß ich das zu allerletzt tun würde, starrte ich Derek wild und ohne Wimpernzucken an. Aber ein Auge füllte sich mit Wasser, und obwohl ich die Träne schnell wegwischte, wie sie herunterrollte, wußte ich, daß sie sie gesehen hatten. Greg hielt mir die ausgestreckte Hand hin.
    »War nicht bös gemeint, Kumpel«, sagte er. Ich schüttelte sie nicht, weil meine Hand naß war. Greg ging weg, und Derek und ich waren wieder unter uns.
    Ich drehte mich um und ging auf die Tür zu. Derek legte seinen Billardstock auf einen Tisch und kam mit. Wir gingen so eng nebeneinander, als hätten wir Handschellen an.
    »Du bist wirklich genau wie deine Schwester, weißt du«, sagte er. Weil ich an Derek nicht vorbeikonnte, mußte ich links neben der Tür auf die Teedurchreiche zusteuern. Sobald der Alte uns kommen sah, griff er nach seiner großen Stahlteekanne und goß zwei Tassen ein. Er hatte eine sehr hochklingende Stimme.
    »Die zwei geb ich euch aus«, sagte er, »für deine neunundvierzig Punkte.« Er sprach soviel zu mir wie zu Derek, und ich mußte eine Tasse nehmen. Derek nahm seine auch, und wir lehnten einander gegenüber an der Wand. Einige Minuten lang schien es so, als wollte er etwas sagen, aber er blieb still. Ich versuchte, den Tee schnell zu trinken, und mir wurde davon heiß und übel. Die Haut kribbelte und juckte mir unter dem Hemd, ich schwitzte an den Füßen, und meine Zehen fühlten sich schlüpfrig an. Ich lehnte den Kopf an die Wand.
    Greg war mit Chas durch eine andere Tür weggegangen, und die übrigen Spieler waren wieder an ihren Tischen. Durch die Tür hörte ich Mrs. O ohne Unterbrechung reden. Nach einer Weile dachte ich, es könnte auch das Radio sein.
    Derek sagte, »Ist deine Schwester immer so, oder ist da etwas nicht gut, das ich wissen sollte?«
    »Immer wie?« sagte ich sofort. Mein Herz klopfte, aber sehr langsam. Wieder mußte Derek einen Augenblick nachdenken. Er spannte die Haut unter dem Kinn und faßte sich an die Krawattenspange.
    »Strikt von Mann zu Mann, klar?« Ich nickte. »Heute nachmittag zum Beispiel. Sie machte grade was, also wollte ich mich in eurem Keller umsehen. Nichts dabei, aber sie benahm sich ganz komisch. Ich meine, da unten ist doch nichts, oder?« Ich hielt das nicht für eine wirkliche Frage und antwortete nicht. Aber Derek wiederholte, »Oder?«
    Und ich sagte, »Nein, nein. Ich gehe kaum mal runter, aber da ist nichts.«
    »Also warum war sie dann so aufgeregt?« Derek starrte mich an und wartete auf eine Antwort, als wäre ich der Aufgeregte gewesen.
    »Sie ist immer so«, sagte ich zu ihm, »so ist Julie eben.«
    Derek sah einen Augenblick auf seine Schuhe nieder, schaute auf und sagte, »Und ein anderes Mal.« Aber da kam gerade
    Mr. O aus seinem Büro und fing mit Derek zu reden an. Ich trank meinen Tee aus und ging.
    Zu Hause war die hintere Türe offen, und ich ging sehr leise hinein. In der Küche roch es nach etwas, was vor langer Zeit in der Pfanne gebraten worden war. Ich hatte das seltsame Gefühl, ich wäre mehrere Monate fort gewesen und in meiner Abwesenheit wäre allerlei passiert. Im Wohnzimmer saß Julie am Tisch, auf dem schmutzige Teller und eine Pfanne standen. Sie sah sehr zufrieden mit sich aus. Tom saß ihr auf dem Schoß mit dem Daumen im Mund, und hatte eine Serviette wie einen Latz um den Hals gebunden. Er glotzte mit einem glasigen Blick durchs Zimmer und lehnte mit dem Kopf an Julies Brüsten. Er schien mein Hereinkommen nicht zu bemerken und machte weiter kleine saugende Geräusche mit dem Daumen. Julies Hand ruhte

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