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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Sparschuh
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Strüver hat ja wahre Wunderdinge über Sie berichtet … Nur immer weiter so! Der Blick geht nach vorn, nicht zurück in die vielleicht auch dunkle Vergangenheit, Herr Lobek, immer nach vorn.«
    Ob ich verstünde, wie er das meinte? Ob ich das wirklich verstünde …
    »Ja«, doch so schwierig war das ja nicht.
    »Schön«, sagte er, »sehr schön. Und dann ist es auch nicht ausgeschlossen, daß demnächst der Vertriebsleiter Ost (er ließ eine kleine Pause) … Hinrich Lobek heißt.«
    »Nein«, sagte ich.
    »Ja«, sagte er.
    Ich stöhnte.
    »Natürlich«, sagte er, »so etwas will gründlich überlegt sein. Das bringt ja gewisse Veränderungen, auch familiäre Belastungen mit sich. Am besten, Sie besprechen das heute abend mal in aller Ruhe mit Ihrer Frau.«
    »Mh, ja«, antwortete ich, »heute abend, das wäre nicht schlecht, ein guter Einfall, das würde passen, ja.«
    »Sehen Sie«, sagte Boldinger nun lachend, »allmählich freunden Sie sich schon mit dem Gedanken an, nicht wahr. – Übrigens, ich verstehe Sie ja besser, viel besser, als Sie sich das vorstellen können. Sagen Sie mal, wissen Sie eigentlich, Herr Lobek, wo ich geboren bin?«
    (Jetzt wurde er auch noch persönlich!)
    Nein, wußte ich nicht. Tippte aber, da er mich schon so fragte, auf Exotisches: Rio vielleicht? Schanghai? Oder Riga?
    »Pirna«, hauchte Boldinger in die Leitung. »Ich komme nämlich auch von drüben.«
    Ich staunte.
    Ganz vorsichtig brachte ich mich wieder in die Rückenlage, denn Boldinger erzählte mir nun, während ich geräuscharm meine Blessuren versorgte, die Geschichte des Boldinger-Firmenimperiums.
    Es begann mit Josef Boldinger, Duftwasserhersteller und königlich-sächsischer Hoflieferant, der 1887, infolge glücklicher Heirat, Anteile der Sebnitzer Kunstblumenmanufakturen erwerben konnte. Das Kunstblumengeschäft in der Gründerzeit blühte. Auch Anfang des Jahrhunderts. Sogar in den zwanziger Jahren, während der Weltwirtschaftskrise, kam es kaum zu Einbrüchen. Immer, über allen Unternehmungen, stand das Motto des nunmehr alleinigen, leider 1931 plötzlich verstorbenen Besitzers, Josef Boldinger: »Unsre Blumen blühn zeitlebens grün!« Dann aber doch der Zusammenbruch, 45. Flucht in die Westzone, dort knapp einem Kriegsverbrecherprozeß entronnen; der Neubeginn. Ganz mühsam,ganz primitiv, in einem ausgebombten Lokschuppen. »Mensch, das waren Jahre. Es war eine schwere, aber auch eine verdammt schöne Zeit.« Damals dann auch schon die ersten Experimente mit Zimmerspringbrunnen. Die stehen heute noch, in Ohio, in Texas – eines der beliebtesten Souvenire aus Germany, kistenweise von den Besatzern mitgenommen. »Was uns das damals bedeutet hat! Unsere Springbrunnen – weltweit! Wissen Sie, Lobek, der Strüver zum Beispiel, der versteht das schon gar nicht mehr, wie das damals war. Kann er wahrscheinlich auch gar nicht. Aber Sie –« plötzlich wandte er sich wieder ganz direkt an mich, »was Sie und Ihre Landsleute jetzt, jetzt in diesem Moment durchmachen, der Zusammenbruch und das alles, das muß doch auch wehtun – das verstehe ich sehr, sehr gut, Herr Lobek, das sollen Sie immer wissen.«
    Es entstand eine kleine feierliche Pause, ich hatte die Augen geschlossen. Auch das bloße Zuhören strengte mich an.
    »Na«, schloß er, durch das Erzählen jetzt richtig beschwingt, aber auch ergriffen, »gehen wir an die Arbeit! – Wie sagt uns doch der Dichter: ›Gott versah euch mit zwei Händen, daß sie doppelt Gutes spenden!‹ – Übrigens, sagen Sie mal noch nichts zu Strüver, mit dem muß ich noch selber sprechen.« Ein abschließender Seufzer, dann war das Gespräch zu Ende.
    Strüver – – – das hätte er jetzt nicht sagen sollen! Da sank ich, obwohl ich schon lag, restlos in mich zusammen. Nur mit Mühe konnte ich den Hörer auflegen. Die Körperqualen hatten ihre Arbeit getan – jetzt war die Seele an der Reihe, meine Seele … Nein, ich hatte kein schlechtes Gewissen – überhaupt gar kein Gewissen hatte ich, das war es!
    O, Uwe, du ahnungsloser Knabe! Du legst beim Chef ein gutes Wort für mich ein, erzählst, wie man hört, gar »Wunderdinge« über mich. Und ich, undankbarstes Geschöpf weit und breit, bringe es nicht mal fertig, deine hübschen, ja doch, hübschen Walfische unter die Menschen zu bringen, bringe es nicht mal fertig, dir die Wahrheit zu sagen. Und nun sollte ich – das war der Dank! – auch noch Vertriebsleiter werden!
    Ich warf mich im Bett hin und her

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