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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Minkmar
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knallbunten, führerlosen Lastwagen mit der Aufschrift »Peerblog«, der zur selben Zeit in Deutschland durch die Kulissen bretterte.
    Wieder Kolonne mit Motorradeskorte, blitzschnell landen wir in einem speziellen Abfertigungstrakt für VIP s und Staatsgäste, es geht schnell und ohne Mätzchen, dann ist man in einem Wartezimmer mit Sofa. Bloß nehme ich einen ganz anderen Flug, die Delegation fliegt direkt nach Amsterdam, ich über Zürich. Dazu muss ich an einen anderen Flugsteig. Ich schlage vor, einfach zur Tür hinauszugehen, weiter zum Hauptgebäude und dann ganz normal zum Schalter. Das wäre aber viel zu einfach, es gibt viele Vorschriften, es wird telefoniert und abgewartet. Jemand muss mich abholen kommen, so einfach ist es nicht, aus einer solchen Sonderzone wieder herauszukommen.
    In den Niederlanden wollte Steinbrück jemanden treffen, von dem er schon oft erzählt hatte, den führenden Sozialdemokraten dort. Der segelte lange unter dem Radar der Demoskopen, bis zu einer entscheidenden Talkrunde. Gegen den Rat seiner Kollegen und Spindoctors legte er dort dar, wie viel die Eurorettung den niederländischen Steuerzahler kosten würde. Und dass er solch eine Rettung unterstützen und betreiben werde. Am Wahlabend stand er als Gewinner da. Diese Geschichte erzählte Steinbrück sehr oft.
    Eine ganz ungewohnte Begeisterung junger Sozialdemokraten sollte er erst wieder in Brüssel erleben. Sie galt bloß nicht ihm.
     
    Party in Brüssel. Vor zwanzig Jahren haben sich die Sozialisten und Sozialdemokraten Europas zusammengeschlossen, das soll gefeiert werden. Das Untergeschoss eines alten Varietés ist voller junger, eleganter Leute, es gibt Drinks und Musik, schönste Clubstimmung, wie man sie auf keiner deutschen Parteiveranstaltung erwarten darf, schon gar nicht mit so vielen unter 40 -Jährigen, so vielen jungen Frauen, die alle drei Sprachen beherrschen und sogar die diversen europäischen Präsidenten voneinander zu unterscheiden vermögen.
    Steinbrück steht in der zweiten Reihe, die Regie hat für ihn einen bescheidenen Platz und einen kurzen Auftritt vorgesehen, es würde dennoch ein langer und schwieriger Abend für ihn werden.
    Doch erst einmal ist Showtime. Es gibt einen Film. Es ist ein kurzes, aber erschütterndes Dokument, eine Retrospektive der letzten beiden Jahrzehnte der Linken in Europa. Besonders aufwendig ist der Film nicht produziert, mehr so etwa wie Schweinerock zu alten Familienfotos, die uralt wirken, aber erst aus den 90 er Jahren stammen. Und es ist ein schockierendes Dokument, weil man in diesem kurzen Film die ganze Brutalität des Geschäfts erkennt: Sowohl was die Unnachgiebigkeit bei Fehlern angeht wie die Möglichkeit, andere in echtes Unglück zu stürzen. Nur abgeschnitten erkennt man auf einem Bild Herta Däubler-Gmelin, deren brillante Karriere mit einem doofen Satz abrupt endete. Man sieht, öfter sogar, Rudolf Scharping, über den keiner mehr spricht. Was, wenn er hier hereinspazierte? Er ist ja kein Krimineller, dennoch fangen, wenn man seinen Namen nennt, alle an zu lachen, als habe man einen Witz gemacht. Man sieht Lionel Jospin, dessen eigene Zufriedenheit mit einer guten Bilanz zu Hybris und zu einem der unrühmlichsten Abgänge aus der Politik führte. Und dann sieht man Schröder und Blair, von denen jeder, wenn er anwesend wäre, die Manege dominieren würde. Seltsam, trotz großer Wahlsiege, gegenteiliger Positionen zum Irakkrieg und einem ähnlichen Wirtschaftsverständnis sind beide für ihre Parteien in gleichem Maße problematisch und zu schwefelhaltig geworden: beide quicklebendig und doch abseits, Zombies der Politik. Die beiden könnten ein Stadion füllen und bespielen, aber man ruft sie nicht und denkt nicht mehr gerne an sie. Die Vergangenheit der europäischen Sozialdemokraten ist auf eine dramatische Weise unbewältigt, die Kellertüren gehen gar nicht mehr zu vor lauter Leichen, die Geschichte ist nur in Gerüchten geschrieben, es wird aktiv und kräftig verdrängt.
    Steinbrück schaut währenddessen auf die Uhr, steht einigermaßen gefasst bis gelangweilt in der Menge. Zum Schluss soll er reden, der Saal, vollgepackt mit jungen Profis und Genossen, die nun schon seit einer Stunde trinken und lachen, gleicht keiner SPD -Veranstaltung, es ist richtig Spannung in der Luft. Steinbrücks Englisch ist das beste aller Redner, aber er bleibt technisch. Nur beim Punkt Jugendarbeitslosigkeit kommt kurz Applaus auf, aber er zündet keine weitere Stufe. Er

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