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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Minkmar
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Auskunft geben und zur Wahrheit stehen, dann aber kritisiert man die taktische Schwäche der Kommunikation.
    Der Fall war exemplarisch für die Flucht der politischen Debatte ins rein Symbolische. Genau genommen hatte Peer Steinbrück mit der Sache nichts zu tun, er war der Dame noch nicht einmal begegnet. Wer könnte schon wissen oder gar nachweisen, dass er wusste und billigte, dass seine Frau oder Schwiegermutter sie schwarz beschäftigte? Natürlich ist es auch nicht hinnehmbar, das die Ehefrau des Kandidaten jemanden schwarz beschäftigt, aber wo ist die Grenze? Wir haben keine Monarchie und kein präsidiales System, es gibt in der Bundesrepublik nicht die Institution einer First Lady und keinen Anspruch der Öffentlichkeit auf ein exemplarisches Verhalten, eine Vorbildfunktion auch noch der Familie eines Politikers. Aber wie sieht das konkret aus? Müsste sich der Mann von den Taten seiner Frau dramatisch distanzieren? Was mutet man einer Familie zu?
    Solche Fälle kommen der tendenziell erschöpften und überforderten Urteilskraft der Zeitgenossen stets entgegen. Die riskanten Operationen wie etwa die Eurorettung kann man letztlich nie mit genügender Sicherheit beurteilen. Jede Meinung schwankt mehr oder weniger, für jeden Experten, der es genau weiß, gibt es einen Gegenexperten. Fälle von ziviler Verfehlung hingegen kann jeder und jede beurteilen. Hier haben wir ein Feld, auf dem die Leute sich auskennen und Maßstäbe entwickelt haben. Es ist auch keine neue oder illegitime Form der politischen Willensbildung. Die Französische Revolution wurde außer von den Ideen der Aufklärung und den objektiven Nöten der Leute auch vom Verlust des Vertrauens in die alte Ordnung befördert, dieser wiederum wurde maßgeblich vorangetrieben durch die Geschichten vom Hofe und teils erfundene, teils aber auch richtig gewertete Skandale. Insofern werden politische Beurteilungen privater Handlungen immer Teil der Willensbildung sein, allerdings liefert die Digitalisierung hierfür erschreckende neue Qualitäten. Bald kann jeder Klassenkamerad eines Politikerkindes, jeder Kollege und jede Exfreundin und jeder Exfreund zum Tippgeber werden oder seine Erkenntnisse ohne Umwege über Redakteure oder Verlage ins Netz stellen. Und dann obliegt es den Beschuldigten, die Vorwürfe zu entkräften. In einer allgemein wenig vertrauensseligen, ja paranoiden Öffentlichkeit wird gerne erst einmal das Schlimmste angenommen. So droht eine Fülle solcher Berichte die tiefer liegenden Themen zu überlagern. Etwas davon, vielleicht nur eine milde Vorstufe, haben wir in diesem Jahr gesehen. Die Steinbrücks sind eine normale deutsche Familie. Aber es gab schon gleich zu Beginn von Peer Steinbrücks Kandidatur den Drang, in ihnen und vor allem beim Kandidaten selbst eine Ungeheuerlichkeit zu finden. Zu entdecken, dass er in Wahrheit jemand ganz anderes sei. Ein korrupter Mensch, der dunkle Geschäftsverbindungen pflegt, der in Namibia eine Farm besitzt und Einheimische schindet, der eine abgründige Psyche und ein zweites Gesicht hat. Das ist ein Zeichen des verlorenen Vertrauens in die Politik, aber auch eine Art Selbsthass gemäß dem alten Groucho-Marx-Spruch: »Einem Club, der so einen wie mich aufnimmt, dem möchte ich gar nicht erst beitreten!« Einer, der an die Spitze unseres Staates gelangen möchte, mit dem kann etwas nicht stimmen.
    Doch Steinbrück gehört einer vordigitalen Generation an und hat fast sein gesamtes Berufsleben im öffentlichen Dienst und in der Politik verbracht. Es ist exakt das Gegenteil von dem, was einer anstreben würde, wenn er reich werden will oder Strippen ziehen möchte.
    Es gab von vorneherein wenig Aussicht auf Erfolg, bei ihm und seiner Frau etwas zu finden, und doch wurde es immer wieder versucht. Und wenn man dort nicht weiterkam, dann wurde bei seinen Mitarbeitern oder den Mitgliedern des Kompetenzteams geforscht. Wer in die Politik geht, hat zuvor ein nach allen denkbaren Kriterien makelloses Leben geführt zu haben. Im Gegensatz zu allen anderen Branchen wird hier eine Ausforschung und Ausdeutung betrieben, die völlig unberechenbar geworden ist. Wer würde schon melden, wenn ein Manager oder ein Sportler, ein Showstar, ein Künstler oder ein Model vor vierzehn Jahren die Putzfrau der Schwiegermutter inkorrekt abgerechnet hätte? Bei denen freut sich die Öffentlichkeit, wenn ihnen kriminelle Handlungen halbwegs leidtun. Politikern hingegen hält man bald noch vor, einer ihrer Mitarbeiter habe

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