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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Minkmar
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sich von einer Freundin unfein am Telefon getrennt oder in der Schule Hausaufgaben abgeschrieben.
    Etwas anderes ist es wohlgemerkt, wenn es um dienstliche Verfehlungen oder die Veruntreuung öffentlicher Mittel geht, der Skandal also einen direkten Bezug hat zum ausgeübten oder angestrebten Amt. Ich würde es auch noch bedenklich finden, wenn man schwere kriminelle Verfehlungen, auch akademischen Betrug nachweisen könne, also eine echte Täuschungsabsicht des Publikums, darüber hinaus die Mitarbeit bei Geheimdiensten oder eine geheime zweite Familie, wenn es also darum ginge, die Öffentlichkeit grob über sehr wichtige Dinge zu täuschen, die man auch im normalen sozialen Umgang als Hintergehung ansehen würde. Und eine besondere Stellung hat auch der Bundespräsident inne, insofern war Christian Wulff in der Tat nicht zu halten.
    Bei Verfehlungen der Familie oder des sozialen Umfelds hingegen sollte man sich eine gewisse Lässigkeit angewöhnen, sonst begraben wir die parlamentarische Demokratie, die immer wieder viele Kandidaten braucht, unter einer Fülle von Hexenprozessen, in denen es um immer banalere oder intimere Themen geht.
     
    Der Zirkus zog weiter. Kurz vor dem Einbiegen zu »Klartext Open Air« in Würzburg erkannte ich das große Zelt der Kollegen vom Zirkus Roncalli, direkt der SPD -Arena gegenüber.
    Die war diesmal unter einer Brücke direkt am Mainufer errichtet worden, ein exzentrischer, vom Leben der Stadt seltsam weit entfernter Platz, als sei das hier eine leicht zwielichtige Kirmes oder eine Reptilienshow. Dennoch war die Stimmung gut, es roch nach Bratwürstchen, und auch die Musik stimmte. Man spielte den Wahlkampfsong »Ein Haus«, das klappte nicht immer bei den Veranstaltungen! Leider waren es recht wenige Zuschauer, verglichen jedenfalls mit den Scharen, die etwa 1986 zu Johannes Rau pilgerten oder elf Jahre später zu Fischer, Schröder und Lafontaine. Man merkt ziemlich gut, wenn ein Regierungswechsel in der Luft liegt: Dann sind die Marktplätze voll, die größten Hallen ausgebucht und es kommen mehr als die stadtbekannten Genossen und ihre Familien.
    Steinbrücks Auftritt wurde unterdessen immer besser, hier und da brach sich auch der Übermut Bahn. Es gab nun auch, beim Thema Rente, Witze über das Gewicht von Sigmar Gabriel: Er selbst wolle es keiner über sechzigjährigen Pflegerin mehr zumuten, ihn zu tragen, und bei Gabriel wäre das wohl ein noch größeres Problem. Er machte Witze mit Christian Ude und baute den Part mit der Geisterbahn von Union und FDP noch aus. Die Kabarettanteile wurden immer länger, seine Reaktionen immer schneller und seine Virtuosität immer bemerkenswerter. Im Kopf rechnete er die Mehrkosten eines Pkw-Mautsystems gegenüber der KFZ -Steuer vor und surfte auf allen Themenwellen vom NSA -Skandal bis zu Syrien. Seine Standardsätze kommen jetzt mit bühnenreifer Perfektion, die Diktion ist mit Gesten unterstützt und mit Pausen durchsetzt. Der finale Appell, ihn zu wählen, kommt dann aber immer noch merkwürdig ironisch gebrochen daher: »Sie werden es mir nicht übel nehmen, wenn ich versuche, Ihnen nahe zu bringen …«
     
    In jenen Tagen fand zugleich die letzte Journalistenreise dieses Wahlkampfs statt. Dazu gab es ein »Das-Wir-entscheidet«-Abendessen im Bürgerspital zu Würzburg, einem traditionellen fränkischen Restaurant, in dem aber alles stimmte. Man war weit entfernt vom Chaos in Brüssel, es waren fast ebenso viele Journalisten da, der Kandidat hatte einen vernünftigen Platz und sogar ein Wasser vor sich stehen. Er eröffnete überraschend entschlossen, fast verbissen: Es sei absurd, anzunehmen, er werde am Wahlabend »leise Servus« sagen. Er bleibe vielmehr »im Fahrersitz«. Spötter hätten antworten können, die Nachricht sei ja wohl, dass er überhaupt im Fahrersitz der SPD -Geschicke sitze. Es sagte aber keiner, vielmehr bekam Steinbrück nun das gesamte seltsame Szenario in Frageform noch einmal vorgeführt: Er werde ja einer großen Koalition als Minister nicht mehr angehören. Es werde keine Tolerierung oder gar Koalition mit der Linken geben. Wozu also dann diese Betonung? Niemand hatte von ihm gehört, er wolle in der Fraktion oder gar an der Spitze der Partei eine große Rolle spielen. Ging es um einen ehrenwerten Abgang, den Job noch ordentlich zu Ende zu bringen, falls die Partei über eine große Koalition verhandeln musste?
    Dieser grimmige Einstieg führte zu endlosen Spekulationen über Koalitionen, die

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