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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Minkmar
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viele aufbrachte. Das dahinter stehende Problem, dass nämlich gegen Steuerkriminalität mitunter recht zahm vorgegangen wird, wurde gar nicht diskutiert. Alle, so schien es Staeck, waren auf Seiten des Fußballmanagers, kaum einer empörte sich über das Delikt. Sogar sein Zahnarzt, erzählte Staeck verwundert, könne im Kopf entwerfen, wie die Verteidigung des Angeklagten es schaffen könnte, die hinterzogenen Summen kleinzurechnen bis auf eine Höhe, in der ein Deal aus Nachzahlung und Bewährung möglich wäre. Es schien Staeck wie eine verkehrte Welt: Die Reichen konnten sich erfolgreich als Opfer gerieren, die angeblich kritischen Medien verteidigten sie und wandten sich gegen jene, die damit, wie es hieß, Politik machen wollten.
     
    Steinbrück wurde im Radialsystem wie ein Held empfangen. Er hatte geliefert, was sich so viele von ihm versprochen hatten. Auch ich wollte ihm zu der glücklich verlaufenen Sendung gratulieren und lief frontal auf ihn zu – nur traute meinen Augen nicht. Es war zwar nicht mehr hell, und meine Brille war vom Regen beschlagen, aber als er näher kam, war ich mir sicher: Zum ersten Mal, seit ich ihn begleitete, seit dem Oktober des Vorjahres, sah ich Peer Steinbrück glücklich.
    Beim Hinausgehen, es war nun schon Montagmorgen, ging ich ein paar Schritte mit einem Freund des Kandidaten. Der war auch glücklich, auch beschwingt, aber ihn beschlich eine Ahnung: »Wir müssen nun dafür sorgen, dass er nicht frech wird.« Den Misserfolg hatte er lange ausgehalten. Jetzt galt es, den Erfolg zu meistern.

12 Fingerzeige
    Dass wir in die Zielgerade einbogen, merkte man an Geschichten wie der über den Erpresser und die philippinische Putzfrau der verstorbenen Schwiegermutter Steinbrücks. Ein ehemaliger Post-Vorstand und Bonner Mitbürger der Steinbrücks hatte den Kandidaten in einem Brief zum Rückzug aufgefordert, weil er Kenntnis davon hatte, dass die Steinbrücks einige Monate lang eine Putzkraft schwarz beschäftigt hatten. Wäre kein Wahlkampf gewesen und Steinbrück nicht Kanzlerkandidat, hätte diese verquere Sache nicht einmal eine lokale Zeitung interessiert. So aber prangte der ganze Vorgang auf der ersten Seite der Bild-Zeitung. Die Sozialdemokraten reagierten, als ob Watergate Zwo aufgedeckt worden wäre, und attackierten politische Gegner für solche üblen Tricks. Die Leser fragten sich, was denn nun schon wieder los sei. Das »Framing« des Kandidaten vom Jahresanfang, also die Prägung seines Bildes als eines notorischen Pannenverursachers, Polterers und politischen Problemfalls, hatte zwar nachgelassen, und seit dem Duell waren die Menschen mehrheitlich auch bereit, sich ihn noch einmal näher anzusehen, aber es war schon noch so, dass, sich alle Köpfe im Porzellanladen zu Peer Steinbrück drehten, wenn es irgendwo schepperte. Diese Geschichte war freilich besonders obskur. Natürlich wäre es fatal gewesen, wenn sich herausgestellt hätte, dass die Steinbrücks längere Zeit jemanden im Haus hatten, der schwarz beschäftigt war. Andererseits ist das in nahezu allen deutschen Haushalten schon mal vorgekommen, die Sache lag lange zurück, und es gab kein Indiz dafür, dass Steinbrück diese Dame auch nur je gesehen oder eine Ahnung davon hatte, wer sie wie bezahlte. Und seine Frau stand ja nicht zur Wahl.
    Später wurde bekannt, dass man in konservativen Kreisen schon länger von dem Vorwurf gewusst habe und womöglich gehofft hatte, diese Geschichte werde kurz vor der Wahl zu einem kaum zu kontrollierenden Thema.
    Die reine Attacke wäre als Reaktion aber auch nicht ausreichend gewesen. Es half hier, dass die »Bild« gleich einen ausführlichen Bericht brachte, der den Vorgang der versuchten Erpressung skandalisierte und in der Sache ganz der Verteidigungslinie folgte: Steinbrücks verstorbene Schwiegermutter habe ihnen zum Umzug nach Bonn geschenkt, dass ihre Putzfrau für ein halbes Jahr einmal wöchentlich bei Steinbrücks saubermachen sollte. Die Angelegenheit blieb aber unter Journalisten ein Thema. Tage später, bei einem Abendessen in Würzburg, als ein Kollege ihn fragte, ob er also annehme, dass die Schwiegermutter ihre Putzhilfe schwarz beschäftigt habe, machte er keine langen Ausflüchte: »Das wird wohl so gewesen sein.«
    Unmittelbar nach diesem Dialog besprachen sich die Journalisten noch einmal: Es sei doch ein Fehler Steinbrücks, dies eben einfach so zugegeben zu haben. Ein anderer aber meinte: Da wünscht man sich immer Politiker, die klar

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