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Der zögernde Schwertkämpfer

Der zögernde Schwertkämpfer

Titel: Der zögernde Schwertkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Duncan
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Bewußtsein ließ ihm nicht so viel Ruhe, daß er darüber auch nur hätte nachdenken können.
    Als Wallie die Spuren von Vixinis Glanzleistung endlich beseitigt hatte, erkannte Nnanji die komische Seite daran. Welch ungeheurer Mut, sagte er augenzwinkernd – einen Siebentstufler von oben bis unten so zuzurichten!
    Wallie stimmte ihm zu. »Der heutige Tag hat es offenbar in sich«, sagte er. »Und der Edelstein war annehmbar für die schreckliche Kikarani?«
    Nnanji lachte. »Nie habe ich etwas schneller verschwinden sehen, mein Gebieter.«
    Er hatte die Prüfung bestanden, denn wenn Nnanji gelogen hätte, hätten rote Warnlampen überall in seinem Gesicht davon gekündet. Wallie hatte jedoch nicht die Absicht, ihm davon etwas zu sagen. Statt dessen berichtete er: »Übrigens, der Waffenschmied ist der gleichen Meinung wie du, was mein Schwert betrifft – es soll das Siebte Schwert des Chioxin sein.«
    Nnanji strahlte. »Ich wünschte, ich hätte den letzten Teil der Ballade auch noch gehört, mein Gebieter.«
    »Offenbar ist nicht mehr darüber bekannt. Chioxin übergab es der Göttin, und danach hat nie mehr jemand davon gehört.«
    Im Gegensatz zu Tarru war Nnanji gern bereit, an Wunder zu glauben. Er lachte aufgeregt. »Und jetzt hat die Göttin es Shonsu gegeben!«
    »Sicher. Obwohl ich das eigenartigerweise nicht gern ausspreche. Aber ich bin neugierig. Es ist drei Jahre her, daß du diese Ballade gehört hast?«
    Ein schüchternes Lächeln huschte über Nnanjis Gesicht. »Etwas länger, mein Gebieter.«
    Wallie sah ihn an, dann ließ er sich auf dem Boden nieder und legte das Schwert ab. Nnanji setzte sich sofort ihm gegenüber und legte sein Schwert quer über das erste. Das war die traditionelle Schwertposition, wenn Sutras zitiert werden sollten.
    »Wie weit bist du gekommen?«
    »Fünf siebzehn, mein Gebieter. ›Über das Duellieren ‹.«
    Zufall? »Ich Glücklicher! Laß uns einige hören. Vierundachtzig, ›Über die Fußbekleidung‹.«
    Sie intonierten abwechselnd, vom Anfang bis zum Schluß. Die Sutras waren eine echte Offenbarung für Wallie. Er hatte sie alle im Gedächtnis gespeichert, doch er hatte sie niemals gelernt, und sie alle kamen frisch aus ihm heraus, als hörte er sie zum erstenmal. Es war ein wilder Mischmasch, von derben Versen bis zu langatmigen Aufzählungen. Manche kurz und bündig, manche endlos lang, beschäftigen sie sich mit zahllosen Themen: Techniken, Ritual, Strategie, Standesethik, Taktiken, Anatomie, Erste Hilfe, Logistik – sogar persönliche Hygiene. Viele waren langweilig und trocken, aber einige wenige besaßen die barbarische Großartigkeit, wie man sie in den besten mündlichen Überlieferungen aus der Zeit vor der Einführung der Schrift überall findet. Manche waren banal, andere so undurchsichtig wie Zen-Lehren. Die meisten enthielten ein Gesetz, eine Anekdote und ein Sprichwort. Wie Honakura gesagt hatte, halfen die Anekdoten über irgendwelche Begebenheiten dem Gedächtnis, doch häufig war der Zusammenhang hintergründig und erforderte tiefes Nachdenken.
    Nnanji kannte den genauen Wortlaut jedes einzelnen, den sie sich vornahmen, also intonierte Wallie fünf achtzehn, ›Über Geiseln‹. Nnanji sprach ihm sofort nach. Überrascht versuchte es Wallie noch mit zwei weiteren
    Vorgaben und ließ ihn dann noch einmal ›Über Geiseln‹ aufsagen. Er machte keinen einzigen Fehler. Wallie wußte, daß Schreibunkundige oft erstaunliche Gedächtnisleistungen zuwege brachten, doch bei Nnanji handelte es sich anscheinend um ein Phänomen. Honakura hatte recht gehabt: hier hatte die Göttin die Hand im Spiel.
    Sein Schützling hatte verständlicherweise ein selbstzufriedenes Gesicht aufgesetzt. »Nun gut, Schlauberger«, sagte Wallie. »Hier ist fünf zweiundachtzig, ›Über das Füttern von Pferden‹.« Das war das längste, langweiligste und zusammenhangloseste von allen. Er kam selbst ein paarmal ins Stottern, bevor er es richtig aufgesagt hatte. Nnanji saß da und beobachtete seine Lippen. Dann wiederholte er es – ohne das Stottern.
    Wallie Smith hatte Lesen und Schreiben gelernt. Deshalb war er, nach Nnanjis Maßstäben, ein geistiger Krüppel. »Du hast gewonnen!« sagte er, und Nnanji grinste. »Wenn ich alle elfhundertundvierundvierzig aufsagen würde, ein einziges Mal innerhalb derselben Sitzung, würdest du sie alle im Gedächtnis behalten?«
    Nnanji bemühte sich, eine bescheidene Miene aufzusetzen. »Ich glaube nicht, mein Gebieter.«
    Wallie lachte.

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