Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
fast wie Gesang ertönte.
»Dort drüben sitzen die Kriegeraristokraten«, erklärte Sargan weiter. »Es ist verboten, in der Armee und gleichzeitig
in der Verwaltung zu dienen. Tatsächlich ist sogar ein Wechsel kaum möglich, allerdings weniger wegen der Gesetze, sondern eher wegen der Traditionen.«
So sehr sich Natiole auch anstrengte, er konnte keinen Unterschied zwischen Beamten und Kriegern erkennen. Beide Gruppen trugen prachtvolle Gewänder ähnlicher Machart; beinahe alle eine Variation des hier beliebten Kypassis. Kräftige Farben, mit goldenen Applikationen abgesetzt, bestimmten ihr Erscheinungsbild.
»Die sind gefährlich«, warf Ana ein. »Die vier größten Familien kontrollieren einen Gutteil der Armee, und die kleineren Familien schließen sich ihnen oft an. Arrogante Bastarde, alle miteinander. Glauben, sie wären die geborenen Anführer, Strategen und Taktiker. Du kannst mir glauben: immer wenn das Imperium irgendwo einen militärischen Tiefschlag erlebt hat, steckt so ein junger Karrierist dahinter, der sich und seine Fähigkeiten heillos überschätzt hat. Und am Ende waren es immer die anderen.«
Bei dieser Schilderung musste Natiole lächeln. Ana konnte ihre Herkunft nicht verbergen, auch wenn sie an diesem exotischen Ort lebte. Anders als die Dyrier schien sie den Abend auch nicht sonderlich zu genießen. Ihre Blicke wanderten ruhelos, und sie rutschte auf dem niedrigen Sitz umher. Sargans Familie hatte weiche Kissen mitgebracht, aber Ana zog es vor, auf dem blanken Holz zu sitzen.
»Sie sind gefährlich. Jeder, der im Imperium Macht an sich reißen konnte, ist dies. Man muss sich gegen unzählige Feinde durchsetzen, kann niemandem vertrauen und muss ständig kämpfen. Die Familien der Kriegeraristokraten stellen im Imperium seit Jahrhunderten die militärischen Führer. Ihre Linien sind lang und bedeutend. Sie waren an jeder wichtigen Schlacht beteiligt. Der Imperator behält sie genauestens im Auge, denn ihr Einfluss bei der Armee gibt ihnen große Macht.«
»Zum Glück hassen sie sich gegenseitig noch mehr als alles andere«, sagte Ana und lachte kurz. »Manche Besprechungen sind wie Hahnenkämpfe, wenn Mitglieder zweier Familien beteiligt sind. Diesen Gockeln schwillt der Kamm an, und sie krähen wild rum. Und wer darf das dann ausbaden? Natürlich: die einfachen Soldaten und Söldner. Wer sonst?«
»Ana und ihre Mutter haben selbstverständlich ihre eigene Sicht auf die Dinge«, erwiderte Sargan diplomatisch. »Ich selbst habe nur wenig mit ihnen zu tun gehabt. Als Beamter ist mir der Dienst in den Armeen ja ohnehin verboten.«
»Gibt es solche Ereignisse öfter?«, erkundigte sich Natiole bei Sargan, um das Thema zu wechseln.
»Kämpfe? Eher selten. Eigentlich werden hier vor allem Pferderennen zelebriert. Manchmal auch Wagenrennen, aber Reiten gilt als die höhere Kunst.«
»Und diese Gladiatoren?«
»Ein hochtrabendes Wort aus alten Zeiten. Vor vielen Jahrhunderten, als Dyria nur ein kleines Land war, wenig mehr als Colchas und Umgebung, da kämpften Sklaven gegeneinander, die dafür ausgebildet wurden. Das ist schon lange vorbei. Heutzutage sind es Gefangene, Verbrecher und Gesindel, das hofft, hier ein wenig Geld zu verdienen. Ein Vergnügen für die Massen.«
»Und blutig. Die Leute können kaum ein Schwert halten, geschweige denn damit umgehen. Was der Reiz daran ist, Unfähigen dabei zuzusehen, wie sie sich langsam zu Tode prügeln, habe ich nie verstanden«, warf Ana ein.
»Manche Bürger mögen es. Aber wer auch nur ein Mindestmaß an Ansehen und Geld besitzt – was ja Hand in Hand geht – und sich dessen bewusst ist, der geht zu den richtigen Rennen. Die bloßen Wagenrennen ziehen viele Leute an, und die Lenker sind wahre Helden, doch von den Bürokraten werden die Reiter geschätzt.«
»Ja, aber die Kriegeraristokraten lieben die Wagenrennen. Die Rennställe verfügen über viel Geld und glühende Anhänger«, gab Ana zu bedenken.
»Wagenrennen sind eher für das einfache Volk«, erwiderte Sargan pikiert. »Wir, also die Beamten, ziehen Reitrennen vor.«
Natiole versuchte, all diese Informationen aufzunehmen und sich nicht von der Kulisse ablenken zu lassen, doch es gelang ihm nur mäßig. Zu gewaltig waren die Eindrücke, die unablässig auf ihn einströmten. Ging man durch Colchas, sah man immer nur einen Teil der Stadt, und abgesehen von den Palästen, war es eben eine Stadt. Ihre wirkliche Größe blieb einem verborgen. Aber hier sammelte sich das Volk,
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