Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
auf einen unausgesprochenen Befehl hin preschten unvermittelt zwei Nialges vor, auf die Ziege zu, die sofort floh. Doch das Rudel hatte sich verteilt, und die beiden Jäger trieben ihre Beute direkt in die Fänge ihrer wartenden Artgenossen. Die Ziege verschwand unter den Leibern ihrer Jäger außer Sicht, und ihre Schreie endeten schnell. Das ganze Rudel versammelte sich und fraß von dem Kadaver.
»Ein einzelnes Nialges ist nicht so gefährlich. Sie sind ausdauernd, aber nicht sehr schnell. Es ist das Rudel, das sie so gefährlich macht. Man erkennt es nicht so einfach, doch es gibt eine strenge Hierarchie im Rudel. Wie in der Bürokratie«, scherzte Baryxes, während Kamros überlegte, was ihm diese Demonstration sagen sollte.
»Beamte reißen allerdings nur selten Ziegen.«
»Wie wahr«, entgegnete Baryxes lachend. »Meistens haben sie größere Beute im Sinn.«
Sein Lachen erstarb mit den letzten Worten, und er sah Kamros abschätzend an. »Die Frage ist nur: wie groß?«
»Krieg ist die Jagd der zivilisierten Welt«, antwortete Kamros kühl. »Und Land ihre Beute.«
19
D er Geruch von Rauch hing in der Luft und lenkte Cornel von der Andacht ab. In der Kapelle hatte sich eine kleine Gruppe von Gläubigen versammelt, aber die Stimmung war gedämpft. Auch Cornels Gedanken kehrten immer wieder zu dem Brand zurück. Das Göttliche Licht hatte die Kapelle geschützt, aber das Hauptgebäude und der Westturm waren letztlich trotz aller Löschversuche ausgebrannt. Wenigstens hatte man verhindern können, dass die Flammen auf andere Teile der Feste Remis übergriffen, aber angesichts der entstandenen Zerstörung war dies nur ein schwacher Trost. Zwar hatte es keine Toten zu beklagen gegeben, aber die beiden Söhne des Voivoden waren verletzt worden.
Fahrig beendete der Sonnenpriester seine Predigt und entließ die Gläubigen in den diesigen Morgen. Gemeinsam mit Gharjaş reinigte er die Kapelle, aber auch bei der vertrauten Tätigkeit wollte sich diesmal keine Ruhe in seinem Geist einstellen.
Auch sein Untergebener schwieg. Die Ereignisse belasteten ihn vermutlich ebenso wie Cornel. Eigentlich hätte er mit dem jungen Mann reden sollen, seine Seele beruhigen, doch er fühlte sich selbst zu aufgewühlt, um einem anderen Frieden zu geben. Eine weitere meiner Schwächen.
Im Hof war der Geruch nach Feuer noch stärker. Seit zwei Tagen hing er in der Luft, setzte sich in der Kleidung fest, in den Haaren, war allgegenwärtig und durchdrang alles. Inzwischen war das Gebäude weit genug abgekühlt, um mit den ersten Aufräumarbeiten zu beginnen. Bei Sonnenaufgang hatten die Arbeiter angefangen, den Schutt
aus dem Inneren des halb eingestürzten Gebäudes zu räumen. Eine undankbare Aufgabe, denn die Asche machte das Atmen schwer, und es verlangte immense Kraft, die mächtigen Steine, aus denen die Feste errichtet worden war, zu bewegen.
In den frühen Morgenstunden der Brandnacht war das Hauptgebäude in sich zusammengestürzt. Jetzt standen die Außenwände nur noch bis zum ehemaligen zweiten Stock, und es gab kein Dach und keine Decken mehr. Die Säulen der großen Halle ragten aus den Ruinen, und einige der unteren Innenwände standen noch. Das berühmte Mosaik, das die Voivodin Ionna in der Schlacht zeigte, war zur Hälfte zerstört worden, ebenso wie die älteren, restaurierten Fresken des Vorsaals.
Kopfschüttelnd betrachtete Cornel die Verwüstung. Der Wandschmuck war einst von den Masriden zerstört und hinter Wandteppichen verborgen worden, und die Wiederherstellung war für die Wlachaken eine wichtige Angelegenheit gewesen. Aber vor der Gewalt des Feuers hatten die Werke der Menschen keinen Bestand gehabt. Wieder einmal wurde sich Cornel der Vergänglichkeit all dessen bewusst, was von Menschenhand geschaffen wurde. Trotz seiner Zugehörigkeit zum Albus Sunaş war er auch Wlachake, und der Verlust schmerzte ihn. Aber Mosaike lassen sich reparieren, Gebäude neu errichten. Der Verlust von Menschen ist die wahre Tragödie. Leider erkennen das nur wenige, und die meisten legen mehr Wert auf Stein und Land als auf die Menschen, die beides bewohnen.
Der Weg zum Wohntrakt des Voivoden war durch den Einsturz des Hauptgebäudes unbequemer geworden. Man musste nun fast ganz um das niedrige Gebäude herumgehen, bevor man durch einen Eingang in den Küchenbereich kam, der eigentlich für die Anlieferung größerer Waren gedacht war. In der Küche herrschte die übliche Betriebsamkeit; die großen Öfen strahlten
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