Der Zorn des Highlanders
zu, der Gillyanne zu fassen bekommen hatte. Dass ihr plötzlicher Richtungswechsel Cameron bei seiner Verfolgung leicht zum Straucheln brachte, verschaffte ihr eine flüchtige Genugtuung.
Ohne zu zögern, warf sich Avery gegen Leargans Rücken. Er fluchte, ließ Gillyanne los und fiel auf sein Gesicht. Breitbeinig stellte Avery sich über ihn, packte seine dunklen Haare und begann, seinen Kopf auf den Boden zu schlagen. Gillyannes anfeuernde Rufe gingen plötzlich in Kreischen über, und Avery blickte auf. Es überraschte sie nicht wirklich, ihre Cousine fest in Camerons Griff zu sehen. Avery riss Leargans Messer aus der Scheide. Sie packte eines seiner Haarbüschel, zog seinen Kopf zurück und hielt ihm sein eigenes Messer an die Kehle.
»Verhandeln?«, fragte sie.
»Nein«, entgegnete Cameron. »Ihr tut ihm nichts.«
»Seid Ihr Euch dessen so sicher?«
»Ich hoffe doch, Cousin«, knurrte Leargan.
»Sehr sicher«, erwiderte Cameron. »Ihr verletzt ihn nicht, Avery, und Ihr flieht auch nicht ohne diese Göre da.«
»Göre?«, schrie Gillyanne empört.
»Nein, wohl kaum «, seufzte Avery, gab Leargan frei und stand auf.
Leargan erhob sich ebenfalls, klopfte sich ab und streckte seine Hand aus. »Mein Messer, bitte.«
Avery fluchte leise und klatschte es in seine ausgestreckte Hand. Als Gillyanne zu ihr rannte, nahm sie die Hände ihrer Cousine in ihre. Sie hatte keine große Angst vor Bestrafung, obwohl Cameron außer sich vor Wut schien. Er mochte sie vielleicht mit Schimpfworten geißeln und sie besser bewachen, aber Avery war sich seltsamerweise vollkommen sicher, dass er sie niemals körperlich verletzen würde.
»Habt Ihr wirklich geglaubt, Ihr könntet entkommen?«, fragte Cameron, als er sie am Arm packte und den Rückweg zum Lager einschlug.
»Die Hoffnung stirbt nie«, murmelte sie.
»Und wohin wolltet Ihr fliehen – ohne Pferde und ohne Vorräte?«
Eine gute Frage, dachte sie bei sich. Aber sie hatte nicht die Absicht, ihn wissen zu lassen, dass sie ihn nur hatte ärgern wollen, selbst wenn dieser Fluchtversuch ihm töricht erschien.
»Wir wollten in der nächsten Kirche Zuflucht suchen.« – »Ja«, pflichtete ihr Gillyanne bei. »Wir wollten um kirchlichen Schutz bitten.«
»Erwartet Ihr wirklich, dass ich das glaube?« Cameron schimpfte leise, als beide Mädchen einfach nur mit den Achseln zuckten. Am Rand des Lagers trafen sie die zwei Wachen, und Cameron riet den beiden rotgesichtigen Männern: »Sie sind hübsch und klein, aber lasst euch davon nicht noch einmal zum Narren halten.« Er schob ihnen die Mädchen zu. »Sie sind hinterlistig und machen mehr Ärger, als sie wert sind.«
»Um kirchlichen Schutz bitten?« Leargan konnte vor Lachen kaum reden, als er und Cameron sich entfernten.
»Elende Gören«, brummte Cameron. »Sie führen etwas im Schilde. Sie sind viel zu klug, um zu glauben, dass diese Flucht hätte gelingen können. Sie haben gewusst, dass sie missglückt, deshalb sind sie auch mit leeren Händen geflohen.«
»Warum haben sie es dann überhaupt versucht?«
»Es würde mich nicht überraschen, wenn sie mich nur ein bisschen ärgern wollten.«
»Glaubst du, dass er unsere Absicht erraten hat?«, fragte Gillyanne Avery, als sie vor Camerons Zelt saßen und ihr Abendbrot aßen.
»Der Gedanke, dass wir ihn nur ärgern wollten, mag ihm durch den Kopf gegangen sein«, antwortete Avery, »aber er wird nicht darauf vertrauen, dass das der einzige Grund war. Er wird dahinter eine größere List vermuten.«
»Er vertraut Frauen nicht sonderlich, oder?«
»Er vertraut ihnen überhaupt nicht.«
»Das sind keine guten Bedingungen, wenn du den Versuch wagen willst, sein Herz zu erobern.«
»Wenn er überhaupt ein Herz hat, das man erobern kann«, grummelte Avery.
»Ach, natürlich hat er eins, sonst würdest du dich nicht so plagen. Er zeigt es nur nicht richtig. Manche Männer sind so.«
»Und manche Männer wollen niemals etwas für eine Frau empfinden und beherrschen es sehr gut, ihre Gefühle wegzusperren.«
Gillyanne nickte, legte dann aber die Stirn in Falten. »Aber er begehrt dich.«
»Begehren kann nicht wirklich als Empfindung bezeichnet werden, Gillyanne, oder als Gefühlsregung. Für einen Mann ist es zu leicht, eine Frau zu begehren. Es kommt nicht von Herzen, das will ich damit sagen. Und es kommt auch nicht aus dem Verstand und der Seele.« Sie seufzte. »Andererseits kann es manchmal zu einem Riss in der Mauer werden, die ein Mann um sein Herz
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