Der Zorn des Highlanders
leidenschaftlich, verspielt, ja sogar freundlich. Seine düsteren Grübeleien hatten augenscheinlich ein Ende gefunden, und falls es seine Absicht gewesen war, sie auf Abstand zu halten, hatte er eindeutig seine Meinung geändert. Es war nicht einfach, aber Avery zügelte ihre Zunge.
Ihr Stolz rebellierte gegen die Art und Weise, wie er sie nach Belieben beiseiteschob und wieder beachtete, je nachdem wie ihm gerade zumute war. Aber sie zwang sich, zu schweigen. Falls sie beide am Ende zusammenbleiben sollten, würde sie Cameron schon beibringen, dass Erklärungen und Entschuldigungen niemanden verletzten und keine Narben hinterließen.
Frauen aber, die keine Erklärungen und Entschuldigungen vom Mann ihres Lebens erhielten, konnten sehr wohl verletzen und Narben hinterlassen.
17
»Mir war gar nicht bewusst, wie sehr ich Schottland vermisst habe«, sagte Avery, als sie auf einem felsigen Hügel neben Gillyanne stand und ihren Blick über die Landschaft schweifen ließ. »Es kommt mir so vor, als wäre ich schon nach einem Tag hier ein anderer Mensch.«
»Hm. Kalt«, antwortete Gillyanne gedehnt und schlang ihren Umhang fester um sich.
»Du hast keinerlei Sinn für Romantik.«
»Doch, den habe ich. Aber ich ertrage es nicht, vom Nordwind in einen Eiszapfen verwandelt zu werden.«
»Was du brauchst, ist ein bisschen mehr Fett auf den Rippen.«
Gillyanne verdrehte die Augen. »Sieh an, wer mir diesen Rat gibt. Ein Mädchen, das von einem kräftigen Windstoß umgeweht werden könnte.«
»Obwohl diese steife Brise an mir rüttelt, stehe ich noch immer fest auf dem Boden.« Avery schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die von dem leichten Wind gelöst worden war. »Ich glaube, ich habe ein paar Kilo zugenommen.«
»Oh ja. Wüsste ich nicht, dass du deine Tage gehabt hast, als du krank warst, würde ich denken, du bist schwanger, so mollig bist du geworden.«
»Wusstest du schon, dass man ernsten Schaden nehmen kann, wenn man diesen Hügel hinuntergestoßen wird?« Avery warf Gillyanne aus Augenschlitzen heraus einen funkelnden Blick zu, aber ihre Cousine lachte nur. »Ich wünschte, wir würden nach Donncoill reiten«, fügte sie mit gedämpfter Stimme hinzu, als sie die MacAlpins beobachtete, die das Lager aufschlugen.
»Ich weiß.« Gillyanne ließ ihre Hand in Averys gleiten. »Wir reisen zuerst nach Cairnmoor.«
Avery nickte und unterdrückte die aufsteigenden Tränen. »Ich habe ihn nicht von seinem Vorhaben abgebracht.«
»Das kannst du auch nicht, und das weißt du. Er hält seine Schwester für eine geschändete Frau und Payton für den Übeltäter. Wenn Payton nicht kommt, um das Mädchen zu heiraten, wird Cameron dich als Druckmittel benutzen. Unsere Eltern und alle unsere Verwandten würden ebenso handeln. Der einzige Unterschied dabei ist, dass wir wissen, dass dieses Mädchen lügt. Sie macht sich das Ehrgefühl und die Liebe ihres Bruders zunutze, um sich unseren Payton als Ehemann zu angeln. Ich konfrontiere dich nur ungern immer wieder mit dieser harten Wahrheit, aber du musst sie im Gedächtnis behalten, sonst wird sich der Schmerz, den dir das Ganze bereitet, nur noch verschlimmern.«
»Warum versuche ich dann so heftig, ihn dazu zu bringen, mich zu lieben?«
»Weil du ihn liebst. Und wegen allem, was danach geschehen wird. Damit du ihm das Herz so schwer machst, dass er nach Lösungen sucht und seine Augen weit genug öffnet, um zu erkennen, dass seine Schwester lügt. Damit er dich zurückholen will, unabhängig davon, was zwischen Katherine und Payton geschieht.«
»Es wird wehtun«, flüsterte Avery.
»Ja, ich fürchte, das wird es«, bestätigte Gillyanne und drückte voller Mitgefühl Averys Hand. »Sag dir einfach immer wieder, dass du trotz all dem Schmerz, den du erleidest, am Ende vielleicht mit all der Herrlichkeit belohnt wirst, die unsere Eltern erleben. Das ist es, was ich haben will.«
»Du verdienst es auch, Mädchen. Ich bete darum, dass du nicht annähernd so viele Probleme haben wirst, einen Mann für dich zu gewinnen.«
»Ach, aber wie oft gewinnt man einen so wertvollen Preis schon ohne alle Mühen?«
»Was glaubst du, was die beiden da oben aushecken?«, fragte Cameron Leargan, als er Avery und Gillyanne auf dem Hügel stehen sah.
»Wie sie einen sehr großen Felsen finden und ihn auf dich herunterrollen können?«, antwortete Leargan. Er begegnete Camerons empörtem Blick mit einem Grinsen.
»Seit wir gestern an Land gegangen sind, hast du nervtötend gute
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