Der Zorn Des Skorpions
Boden befand sich noch Wasser.
Durchs Fenster blickte sie auf den Schnee vor der Garage. Seichte Furchen zeigten an, wo zum letzten Mal ein Fahrzeug entlanggefahren war. Zehn, wenn nicht fünfzehn Zentimeter Schnee hatten die Spuren fast aufgefüllt. Und das hieß …? Pescoli musste seit mindestens zwölf Stunden fort sein, womöglich noch länger.
Alvarez öffnete die Tür zur Garage und furchte die Stirn, als der Strahl ihrer Taschenlampe über die Pfützen an der Stelle glitt, wo Pescolis Jeep gestanden hatte. Vor wie langer Zeit?
Mit einem unguten Gefühl legte sie den Schlüssel zurück in sein Versteck. Ihr Unbehagen wuchs langsam, aber sicher.
Hier war eindeutig etwas faul. Auf dem Weg zurück zu ihrem Jeep betrachtete sie das Haus noch einmal eingehend und rief Grayson an. Als er sich nicht meldete, hinterließ sie ihm eine Nachricht auf der Mailbox, dann steuerte sie ihren Jeep auf die Straße, die zu Lucky Pescolis Haus führte.
Sie konnte nur hoffen, dass wenigstens Lucky zu Hause war.
4. KAPITEL
B itte, steh mir bei«, flüstert eine angstvolle Frauenstimme durch den dunklen Flur, während ich mein tägliches Training absolviere.
Dreiundneunzig. Vierundneunzig. Fünfundneunzig.
Ich zähle die Liegestütze mit. Schweiß rinnt mir in die Augen, und meine Arme fangen an zu zittern. Meine Hände pressen sich flach auf den kalten Steinboden, das Feuer knistert und lässt goldene Schatten durch den Raum huschen. Mein Gesicht brennt, die Kratzer sind noch nicht verheilt, der salzige Schweiß schmerzt in den oberflächlichen Wunden.
Draußen ist kalte Nacht, ein Sturm heult durch diese einsame Schlucht, es schneit heftig, und die Schneedecke wächst immer höher. Eisige Kristalle, die meiner Mission zugutekommen.
»Bitte, hilf mir …«
Ich höre die Verzweiflung in ihren Schreien, und das wirkt beschwichtigend auf mich, obwohl es mich in meiner Konzentration stört.
Sechsundneunzig. Siebenundneunzig.
Ich bin militärisch gut in Form, mein Rücken ist gerade, meine Muskeln glänzen vor Schweiß, meine Schultern und Arme schmerzen, doch der Schmerz fühlt sich gut an, die süße Qual meiner überanstrengten Muskeln, Geist triumphiert über Materie.
Achtundneunzig. Neunundneunzig.
Jetzt weint sie. Jault und wimmert in dem kleinen Schlafzimmer. Wie ein verirrtes Kätzchen mit noch geschlossenen Augen, das im Dunkeln sucht und nach der Mutter ruft. Absolut perfekt.
Ich halte inne, jedoch nur für eine Sekunde, und genieße den letzten Liegestütz, senke langsam, sorgfältig meinen Körper ab, bis meine Brust beinahe den Boden streift, und stemme dann genauso entschlossen mein Gewicht wieder hoch. Ich halte die letzte, perfekte Position in der Schwebe und betrachte eine Minute lang mein Spiegelbild. Makellose, definierte Muskeln, dichtes Haar, ein schönes Gesicht blickt mir entgegen. Vor Anstrengung treten die Adern hervor.
Einhundert.
»Bitte, bitte … hört mich denn niemand?«
Es ist Zeit. Ich lockere den Druck auf meine Muskeln und komme langsam wieder auf die Füße. Von einer Stuhllehne nehme ich ein Handtuch und tupfe mir den Schweiß ab, während ich ihrem Weinen lausche. Je länger sie wartet und sich ängstigt, desto schneller lernt sie, mir zu vertrauen.
Ich komme,
denke ich, in dem Wissen, dass ich reagieren, meine Rolle spielen, so tun muss, als wäre mir wirklich an ihr gelegen. Ich gebe ihr Trost und Schmerzmittel, biete ihr heißen Tee und eine freundschaftliche Umarmung an, so dass sie mehr will, bei mir Trost sucht, Rettung von mir erhofft. Sie wird schwierig sein, das weiß ich, eine starrsinnige, intelligente Frau, die nicht so einfach umkippt, aber ich werde einen Weg finden, sie zu brechen, ihr Vertrauen zu gewinnen, bis sie sich mir mit Leib und Seele ergibt.
Was nicht heißt, dass ich das annehmen würde.
Dennoch, sie wird darum betteln, dass ich sie nehme, dass ich sie halte, ihr ins Ohr flüstere, dass ich sie liebe, was ich natürlich nicht tun werde. Ich stelle mir die Hoffnung in ihrem Blick vor, das Zittern ihrer vollen Lippen, die Berührung ihrer Hand, die verführerisch einladend an meinem Körper herabstreicht.
Aber ich werde ihr widerstehen. Wie bei jeder Frau.
Ich lege noch einen Scheit aufs Feuer. Funken sprühen, hungrige Flammen lecken an dem trockenen Holz, Kohlen glühen blutrot und verleihen dieser primitiven Hütte Wärme und Gemütlichkeit. Ich suche mein kleines Bad auf, seife unter der Dusche rasch die Zeugnisse meines Trainings ab und
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