Der Zorn Des Skorpions
Dokument, über das sie mir etwas sagen konnte, war das von Regan Elizabeth Pescoli.«
Alvarez hob eine Hand. »Moment mal …«
»Mehr hat sie nicht gesagt, doch nach der Erwähnung Ihrer Partnerin hatte ich einen Traum, und die Bilder waren mal diffus, mal scharf, ergaben keinen Sinn. Aber ich glaube, es waren Bilder von Regan Pescoli.«
»Sie hatten einen Traum? Während Sie schliefen?«
»Ja … Ich fand mich draußen wieder. Mit dem Hund.«
»Ist Ihnen so etwas schon früher passiert?«
Grace schüttelte den Kopf. »Noch nie. Erst seit dieser Mordserie«, sagte sie. »Was jetzt mit mir geschieht, ist anders als früher. Die Toten fordern Gerechtigkeit, glaube ich. Sie versuchen mit größerer Beharrlichkeit als je zuvor, mich zu erreichen.« Sie sagte es mit einer Überzeugung, die Alvarez Angst machte. Diese Frau glaubte wirklich fest daran, dass die Toten mit ihr sprachen.
Der Wolfshund auf dem Boden neben Grace reckte sich, gähnte und zeigte dabei seine Reißzähne, bevor Sheena die goldenen Augen wieder schloss und im Schlaf leise pfeifend durch die Nase atmete.
»Haben Sie in diesem Traum den Mörder gesehen? Hat Mandy seinen Namen erwähnt? Ihn beschrieben? Sie sagten ›er‹, und auch wir gehen davon aus, dass es sich um einen Mann handelt, aber können Sie mir irgendetwas über ihn sagen, etwas, was uns helfen könnte, ihn zu finden?« Als sie ihre eigenen Worte hörte, wand sich Selena innerlich. Sie glaubte an die Wissenschaft und handfeste Beweise, vertraute nicht auf Hellseher oder Visionen oder Träume oder sonst irgendetwas, was sich nicht durch Tatsachen belegen ließ. Und dennoch hoffte sie jetzt, dass diese Frau, die nach der Meinung der meisten Mitbürger nicht alle Tassen im Schrank hatte, ihr helfen könnte.
»Ich habe nur so einen Sinneseindruck. Ein Mann in Weiß. Er trägt Tarnkleidung, um nicht gesehen zu werden, vermute ich. Um mit der Landschaft zu verschmelzen. Mit dem Schnee.«
»Aber Mandy hat ihn gesehen.« Wie alle anderen Opfer auch. Alvarez war überzeugt, dass sie alle Vertrauen zu ihm gefasst hatten, an ihn glaubten, wenngleich sie das nicht beweisen konnte. Es war lediglich ihre Theorie.
»Sie hat ihn gesehen, aber sie hat mir keine Beschreibung übermittelt. Es tut mir leid.« Und so sah sie auch aus, wie sie da in der Ecke des staubigen Sofas saß, die Hände vor sich gefaltet, die Augen beinahe unirdisch glänzend.
Alvarez stellte noch ein paar Fragen, und Grace antwortete rasch und ehrlich, wie es schien, aber wer wusste das schon? Die Frau mochte genauso verrückt sein, wie alle behaupteten. Doch Alvarez drängte Grace, alles zu berichten, woran sie sich erinnerte.
»Über einige Dinge habe ich Näheres erfahren«, sagte Grace. Ihr silbernes Haar schimmerte im Feuerschein.
»Von Mandy Ito?«
»Ja.«
»Worüber denn?«
Beinahe, als hätte sie sich in Trance versetzt, starrte Grace ins Feuer und berichtete dann von einer Nadel, einer Spritze. Und von einer Zwangsjacke und einer Art Trage. Alvarez drang in sie, als ihr Redefluss stoppte, doch Grace konnte nichts Konkretes benennen, keinen Namen, keine Beschreibung, keine Adresse.
Nichts, was eine Verbindung zwischen den Verbrechen und einer Person hergestellt hätte.
Grace kam allmählich wieder zu sich und sagte: »Sie müssen ihr helfen«, was Alvarez’ Gefühl der Sorge und der Unzulänglichkeit nur noch verstärkte.
»Das werde ich tun«, versprach sie auf dem Weg nach draußen. Sie stieg in ihren Jeep, und als sie ihn wendete, klingelte ihr Handy. Sie nahm das Gespräch an und fuhr auf die Hauptstraße. Die Scheibenwischer kämpften wie verrückt, um die Frontscheibe von dem verfluchten Schnee zu befreien, der nach wie vor vom Himmel fiel. »Alvarez.«
»Hier ist Joelle. Kommst du zurück?«
»Bin schon auf dem Weg.«
»Gut, gut.«
Das Gespräch beunruhigte Alvarez. Joelle hatte bestimmt nicht angerufen, um sie zum gemeinsamen Plätzchenbacken einzuladen. »Was gibt’s?«
»Es geht um Regans Sohn.«
»Jeremy?«, flüsterte Alvarez mit schwerem Herzen. Der Junge steckte ohnehin schon bis über beide Ohren in Schwierigkeiten; noch mehr konnte er nicht brauchen. »Was ist mit ihm?«
»Er ist hier auf der Wache und will wissen, was seiner Mutter zugestoßen ist. Ich habe versucht, ihn zu beruhigen, und ihm geraten, nach Hause zu fahren; ich habe ihm sogar Plätzchen und Früchtekuchen angeboten.«
Wie immer.
»Aber er besteht darauf, mit jemandem wegen Pescoli zu sprechen, und in
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