Der Zorn Des Skorpions
sexuellen Übergriffen aufgewiesen, aber sie hatten in den Händen dieses Wahnsinnigen sicherlich trotzdem höllische Qualen erlitten.
»Ich weiß, dass du wach bist«, sagte er in diesem ölig sanften Tonfall, der ihr so vertraut vorkam. »Mir brauchst du nichts vorzumachen.«
Langsam schlug sie die Augen auf. Er stand vor ihr, ein kräftiger Mann, immer noch vermummt. Die Skibrille verbarg seine Augen, der Bart musste falsch sein, doch trotz der Dunkelheit sah sie die noch nicht ganz verheilten Kratzer auf seiner Wange. Ein Punkt für die Guten.
»Guten Morgen, Detective«, sagte er leise. »Na ja, Morgen ist es eigentlich nicht mehr …«
»Wen zum Teufel interessiert das?«
»Hm. Siehst du, du hast dich tatsächlich schlafend gestellt. Und nicht mal sehr überzeugend.« Er stellte einen Liter frisches Wasser auf den Nachttisch und legte ein paar Müsliriegel dazu. »Ich dachte, es könnte dich interessieren, dass die Welt gerade von menschlichem Abschaum befreit worden ist.«
Was zum Kuckuck faselte er da?
»Du hast schon mal von Brady Long gehört?«
Ja, klar. Wer nicht? Brady Long war das einzige Kind eines der reichsten Männer in Montana, wenn nicht des reichsten überhaupt, des Kupferbarons Hubert E. Long. Nein … Moment mal, das stimmte nicht ganz. Da war doch noch ein zweites Kind? Ein Mädchen? War es gestorben? Regan erinnerte sich nicht.
»Ich sehe, er ist dir ein Begriff. Tja, jetzt gibt es einen Einwohner weniger, der dem Sheriff Sorgen macht.« Er wandte sich ab, nahm mit behandschuhten Händen ein paar Scheite vom Holzstapel an der Wand und schob sie in den Herd, wo die verlöschende Glut knisternd und hungrig aufzüngelte.
»Was ist mit Brady?«, fragte Regan, von Neugier übermannt.
»Er hat ein unseliges Ende gefunden, fürchte ich.«
»Du hast ihn umgebracht?«
Er schlug die Herdklappe zu und baute sich wieder vor Regan auf. Seine Zähne blitzten in einem selbstzufriedenen Grinsen unter dem falschen Bart auf. »Man munkelt, ein Yeti hätte ihm den Garaus gemacht.«
Sie sah ihn an. Um Himmels willen, dieser Kerl war wirklich behämmert. Eindeutig verrückt.
»So lauten die Nachrichten.«
»Tatsächlich?«
Lass dich nicht auf ein Gespräch mit ihm ein. Darauf fährt er ab.
»Ist das nicht interessant?«
»Eher nicht.«
Er schnalzte mit der Zunge über ihre Naivität, verspottete ihren Versuch, ihn zu täuschen. »Noch interessanter ist, dass der Yeti mit einem Gewehr tötet, mit einem Kaliber . 30 , um genau zu sein.«
»Woher weißt du das?«
Sein widerliches Grinsen wurde breiter. »Weil ich dabei war, Rotschopf. Alles bezeugt habe.«
»Du hast ihn tatsächlich umgebracht.«
»Ich habe der Welt einen Gefallen getan, aber genau das ist ja das Problem mit guten Taten. Sie werden ständig missverstanden.« Sein Lächeln schwand, und im orangefarbenen Feuerschein wirkte sein Gesicht mit dem dunklen Bart und den Kratzern auf einer Wange wie der Inbegriff des Bösen. »Aber das wird sich ändern … bald schon.«
Er blickte vielsagend auf sie herab, und Pescoli hatte das Gefühl, als würden Schlangen über ihren Rücken kriechen. Natürlich hatte er vor, sie irgendwann umzubringen, doch jetzt wurde ihr klar, dass es schon sehr bald sein würde.
17. KAPITEL
G race Perchants Heim schien aus einem Märchen zu stammen. Das Häuschen im Wald sah aus, als hätten die Gebrüder Grimm es erfunden. Es lag hübsch eingebettet in eine Winterlandschaft, in der trotz der pittoresken Schönheit düstere, todbringende Kreaturen lauerten.
»Das muss an dem Grippemittel liegen«, sagte Alvarez, als sie auf der ausgefahrenen Straße vor dem Häuschen anhielt und einer Spur im Schnee zur Haustür folgte. Es war schließlich nichts weiter als ein Haus. Seltsam, ja. Aber ein Haus im Wald. In ihren drei Jahren beim Morddezernat hatte es sie zu so manchem einsamen Blockhaus im Wald verschlagen. Grace Perchants Häuschen war nicht anders. Ganz und gar nicht.
Sie hatte Grayson auf Brady Longs Anwesen zurückgelassen, denn er wollte noch bleiben und später mit dem zweiten Sheriff zurück zur Wache fahren. Brewster war aufgetaucht, als Alvarez aufbrechen wollte. Sie hatte alle nur verfügbaren Informationen, und außerdem noch so lange gewartet, bis sie Clementine DeGrazio und ihren Sohn Ross vernehmen konnte. Die Hauswirtschafterin hatte ausgesagt, dass Brady Long ihr am Vorabend telefonisch mitgeteilt hatte, er plane »eine Stippvisite«, wenn der Sturm nachließ. Clementine hatte dafür
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