Der Zorn Des Skorpions
führte, wo die Presse sich versammelt hatte. Einen Teil von Joelles Ratschlägen würde sie sich zu Herzen nehmen. Was Sheriff Grayson anging, würde Alvarez ihm bis in alle Ewigkeit zur Seite stehen. Grayson war ein guter Mensch. Ein kluger, entschlossener Staatsdiener. Er sprach mit Autorität und Überzeugung, untermauerte seine Ansichten mit Taten und erfüllte gewissenhaft seine Pflichten und Verantwortungen als Sheriff.
Aber heute Abend, dachte sie, während der Winterwind sie beutelte und mit den Ketten am Fahnenmast rasselte, belügt Grayson sich selbst. Sie hoffte, obwohl es keine Hoffnung gab, dass sie den Unglücksstern-Mörder dingfest machen konnten, bevor er erneut zuschlug. Sie wollte verzweifelt gern daran glauben, dass keine weiteren Leichen gefunden wurden. Doch sie war Realistin. Den Weihnachtsmann gab es nicht. Und der Mörder würde wieder töten.
19. KAPITEL
B ald,
denke ich. Ich sitze an meinem Tisch, umgeben von meinen wohlgeordneten Karteikästen mit Botschaften, Fotos, Ausweisen und privaten Schätzen. Das Feuer brennt leise, zischt wie eine Schlange und erinnert mich an meine Aufgabe.
Ja, Elyssas Zeit ist bald gekommen. Der Sturm soll ein wenig nachlassen, was ideale Bedingungen für eine Überlebensübung bietet … wie damals für mich. Wie oft hat meine Mutter mich hinaus in die verschneite Wildnis geschleppt, mich in Überlebenstechniken unterwiesen und mir gezeigt, was nötig ist, damit ich »ein Mann werde«? Sie hatte natürlich recht, dieses Miststück, aber ich war immer der Meinung, mein Vater hätte verhindern müssen, dass sie mich mitten im Winter zurückließ und ich allein den Weg nach Hause finden musste. Sie wies mich an, von dem zu leben, was die Natur zu bieten hat, und ich lernte schon in jungen Jahren, kleinere Beutetiere zu schießen. Das konnte ich gut. Dafür lobte sie mich, was selten genug vorkam, und es bescherte mir tiefste Befriedigung, das Schicksal eines anderen Lebewesens zu bestimmen. Sollte der Hase weiterleben? Konnte ich wirklich auf dreihundert Meter Entfernung ein Eichhörnchen treffen? Konnte ich so lange still und reglos liegen bleiben, bis die Ricke ihr Kitz verließ?
Ja, meine Mutter hat mir vieles beigebracht.
Und mein Vater … er überließ mich meinem Schicksal und der Autorität meiner Mutter.
Vielen Dank auch, Dad.
Ich schenke mir einen Drink ein und schüttle die verschwommenen Kindheitserinnerungen ab. Ich bin viel zu müde, um Elyssa heute noch rauszutreiben, und ich möchte noch ein wenig die Erinnerung an die letzten Sekunden von Brady Longs Leben genießen. Ich schlürfe den kühlen Drink, fühle, wie er durch meine Kehle rinnt und mir das Blut erwärmt. Nur ein Drink. Mehr nicht. Ich habe noch viel zu tun.
Elyssa, dieses Dummchen, kann wieder laufen, und sie ist lange genug bei mir, um mir zu vertrauen, will aber trotzdem unbedingt fort. Morgen ist Heiligabend. Vielleicht bringe ich sie dann raus. Ich muss mich heute Abend besonders intensiv um sie kümmern, für alle Fälle. Muss ihre Sorgen zerstreuen und prüfen, inwieweit sie bereit ist, sich meinem Willen zu unterwerfen.
Sie ist ein hübsches Ding, aber langweilig. Ganz im Gegensatz zu Regan Pescoli.
Wieder wandert mein Blick zur Tür zu Pescolis Zimmer, ich stelle mir vor, wie sie auf der Pritsche liegt. Sie würde mich umbringen, wenn sie könnte, und das ist interessant. Eine Herausforderung. Es bringt mein Blut in Wallung. Ich kann es kaum erwarten, dass ihre Stunde kommt.
Aber jetzt noch nicht. Du hast einen Plan, vergiss das nicht. An den musst du dich halten.
Mein Blick schweift über den Tisch zu dem säuberlichen Stapel mit den Botschaften, an denen ich so sorgfältig gearbeitet habe. Angefangen mit der Ersten, mit Theresa Kelper und ihren Initialen:
……T……K
Diese Lehrerin war aufregend! Ich streiche die Kopie dieser Botschaft – die ich für die Polizei hinterlassen habe – auf dem Tisch glatt und prüfe die Position des Sterns über den Buchstaben. Hatten sie wohl eine Ahnung, dass die Position dieses speziellen Himmelskörpers präzise ausgerechnet war? Dass sie sich mit jeder neuerlichen Botschaft, die ich bei den Frauen hinterließ, veränderte? Nina Salvadore, die Programmiererin und Mutter, war die zweite, als dritte folgte Mandy Ito, die feurige Asiatin, die irrtümlicherweise glaubte, ihr Kampfsporttraining könnte sie retten.
Falsch gedacht, Weibsstück. Dein Training hat dir nichts genützt!
Diane Zander, eine ausgesprochen farblose
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