Der Zorn Des Skorpions
ihre Papiere und Kaffeebecher ein. Auf dem Weg zurück zu ihrem Arbeitsplatz blickte Alvarez aus dem Fenster auf die stahlgrauen Wolken und beobachtete den Sturm, der die Schneemassen an die Fensterscheiben trieb.
Das Unwetter tobte mit nicht nachlassender Stärke. Der Unglücksstern-Mörder machte ebenfalls immer weiter.
Dass er sein Ziel noch nicht erreicht hatte, ließ er sie durch die Botschaften wissen, die er an den Mordschauplätzen zurückließ.
Bei Brady Longs Leiche wurde keine Botschaft gefunden.
In der Hinsicht hat Grayson recht, dachte Alvarez, als sie sich an ihrem Schreibtisch niederließ. Der Mord an Long war eine Abweichung. Vielleicht war ein Komplize der Täter? Oder hatte Long etwas gewusst? Es musste eine Verbindung geben. Eine, die noch nicht zu erkennen war.
Oder gab es noch einen Trittbrettfahrer? Das wäre mehr als Zufall.
Was dann?
Sie griff nach den Kopien der Berichte über weitere vermisste Personen, Frauen, die während der letzten sechs Wochen plötzlich verschwunden waren. Sie blätterte die Seiten durch, las die Namen, betrachtete die Führerschein- oder Schulabschlussfotos oder die von Nahestehenden aufgenommenen Schnappschüsse, und ihr Herz wurde schwer.
Patricia Sorensen. Alma Rae Dodge. Holly Benjamin. Tawilda Conrad. Und das waren nur ein paar, aber jede von ihnen konnte zum Opfer des Unglücksstern-Mörders werden. Alvarez schob die Fotos zur Seite und ging zu Pescolis Schreibtisch. Unordentlich. Verwahrlost. Fotos von ihren zwei Kindern an einer Pinnwand, dazu Notizen und Berichte und ihr Kalender.
Alvarez hoffte inbrünstig, dass sie noch lebte.
»Halte durch«, flüsterte sie und strich über die Schreibtischplatte, bevor sie sich setzte und den Computer einschaltete. Zoller und ein Computerfachmann hatten alles durchgesehen, doch Alvarez wollte sich mit eigenen Augen überzeugen.
»Wo zum Teufel steckst du?«, fragte sie laut. Ihre Kopfschmerzen meldeten sich mit Macht zurück, als sie die Lieblings-Websites ihrer Partnerin durchsah und den Verlauf kontrollierte. Sie fand nichts, was ihr weiterhalf.
Alvarez seufzte, dachte an Jeremy, der in einer Gefängniszelle schmorte, und fragte sich, ob überhaupt einmal irgendetwas gutgehen würde. Sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, Grayson wegen des Jungen zu sprechen, und Brewster war immer noch stinksauer, also musste Jeremy sich wohl noch gedulden. Es sei denn, Lucky Pescoli wollte die Sache beschleunigen.
Eher unwahrscheinlich.
Und es würde Jeremy nicht schaden, über sein Verhalten nachzudenken, wenngleich Brewster, der zweite Sheriff persönlich, den Streit provoziert hatte.
Du bist ein tolles Vorbild, Cort. Es ist nicht leicht, ein guter Polizist und Christ zu sein.
Alvarez schloss die Augen und rieb sich die Schläfen. Sie benötigten dringend einen Durchbruch in diesem Fall. Eine Wetterbesserung auch. Und überhaupt. Da sie nichts Neues erfahren konnte, ging sie zurück an ihren eigenen Arbeitsplatz und wäre um ein Haar mit der Sekretärin zusammengestoßen.
»Die Pressekonferenz beginnt!«, verkündete Joelle und warf sich ein rotes Cape über, verziert mit Applikationen von Weihnachtsmanngesichtern aus Filz. In Alvarez’ Augen grinsten sie lüstern und wirkten eher unheimlich als niedlich. »Willst du dem Sheriff nicht zur Seite stehen?« Sie zog ein Paar schwarze Handschuhe an und ging in Richtung Ausgang.
Doch, natürlich,
dachte Alvarez und griff nach ihrer Jacke.
»Ich kann nicht kommen«, fügte Joelle hinzu. »Ich habe meiner Nichte versprochen, mit ihr den Weihnachtsmann zu besuchen. Heute Abend ist er unten beim Gerichtsgebäude, wenn das Konzert im Park stattfindet.«
»Heute Abend?« Alvarez warf einen Blick auf das dunkle, vereiste Fenster.
»Schlechtes Wetter kann den Weihnachtsmann nicht aufhalten«, sagte Joelle. »Schließlich lebt er doch am Nordpol.«
»Ach ja?«
»Natürlich.« Joelle schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, dann zog sie sich die Kapuze ihres Capes über ihr auftoupiertes Haar. Ein weißer Bommel krönte die Kapuze, damit sie, wie Alvarez vermutete, noch festlicher aussah. »Weißt du, Selena, es würde dir nicht schaden, wenigstens ein bisschen zu glauben. Ich weiß, dass wir hier schlecht dran sind, in einer misslichen Lage stecken, aber das heißt doch nicht, dass du dir keine Weihnachtsstimmung erlauben darfst.«
»Nein?«
»Mhm.«
Alvarez schloss den Reißverschluss ihrer Jacke und ging in Richtung der Doppeltür, die nach draußen auf die Veranda
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