Der Zorn Gottes
dabeisein.«
Athelstan blickte in banger
Sorge auf. »Es wird also Frieden geben, Sir John?«
»Frieden!«
Cranston beugte sich über ihn. »Mein guter Bruder«, flüsterte
er heiser, »sag deinen Pfarrkindern, sie sollen sich vorsehen. Gaunt
hat vor, Truppen aufzustellen, und glaub mir: In den Straßen von
London wird bald Blut fließen, dick, dunkel und rot wie der Wein aus
der Kelter!«
Athelstan stellte seinen
Humpen hin und stand auf. »Glaubt Ihr das wirklich, Sir John?«
»Ich weiß es! Zu
dieser Stunde trifft Gaunt mit den Kaufmannsfürsten im Rathaus
zusammen. Der junge König und sein Tutor, Sir Nicholas Hussey, haben
dort heute morgen die Messe besucht. Am Nachmittag hat Gaunt mit dem
Sheriff, Sir Gerard Mountjoy, über Maßnahmen gegen die Verschwörung
der Bauern und ihre Anhänger in der Stadt beraten.« Cranston
wischte sich den weißen Bart. »Und zur Buße für
meine Sünden«, flüsterte er in einer Wolke von Weindunst,
»muß ich heute abend an dem Bankett teilnehmen, das Gaunt
seinen neuen Verbündeten gibt.« Er grunzte. »Als ob ich
nicht schon genug Probleme hätte.«
»Was denn für
Probleme, Sir John?«
»Nun, abgesehen von
Olivers Tod sind Regent und Behörden erbost über einen Schurken,
der den hingerichteten Verrätern auf der London Bridge und anderswo
die Gliedmaßen stiehlt. Was hat es schließlich für einen
Sinn, Leute hinzurichten, mein guter Bruder, wenn man ihre abgehackten,
blutigen Glieder nicht als Warnung für andere Möchtegern-Verräter
zur Schau stellen kann?« Er schob seinen Arm unter den des
Ordensbruders, und sie verließen die Schenke. »Nun, in meiner
Abhandlung über die Verwaltung dieser Stadt…« Er
schnalzte, und Athelstan schloß die Augen und betete um Geduld.
Cranstons großes Werk über die Regierung der Stadt London war
fast fertig, und er ließ sich keine Gelegenheit entgehen, Vorträge
über seine Theorie zur Sicherung von Recht und Ordnung in der Stadt
zu halten.
»In meiner Abhandlung
werde ich von solchen Praktiken abraten. Verbrecher sollte man innerhalb
der Gefängnismauern hinrichten, und die Krone sollte gegen derartige
Barbarei ihr Veto einlegen. Die alten Sumerer…« Cranston zog
den widerstrebenden Athelstan über die Cheapside. »Also, die
alten Sumerer …«, wiederholte er.
»Mylord Coroner! Bruder
Athelstan!«
Die beiden drehten sich um.
Ein verschwitzter Diener in der Livree der Stadt London stützte sich
auf einen leeren Verkaufsstand und rang nach Luft.
»Was ist denn, Mann?«
»Sir John, Ihr müßt
rasch kommen. Und du auch, Bruder. Der Regent… Seine Gnaden der König
…«
»Was ist?«
blaffte Cranston.
»Ein Mord, Sir John.
Sir Gerard Mountjoy, der Sheriff, wurde im Rathaus ermordet!«
Zwei
Als Cranston und Athelstan
ins Rathaus kamen, war alles seltsam still. Bewaffnete säumten die Gänge
und Korridore und bewachten die Ein- und Ausgänge zu den
verschiedenen Höfen. Der Diener führte sie hindurch und schüttelte
auf Cranstons bohrende Fragen immer nur den Kopf. Er brachte sie in den
Garten mit seinen Kräuterbeeten, dem Springbrunnen und dem Kanal, den
Holz- und Steinbänken, der Laube und den weichen, grünen Rasenflächen,
einen der angenehmsten Orte um das Rathaus. Ein paar Männer standen
am Springbrunnen und sprachen miteinander. Sie verstummten und drehten
sich um, als Cranston und Athelstan näher kamen.
»Mylord Coroner, wir
warten schon auf Euch.«
»Euer Gnaden«,
antwortete Cranston und schaute den dunklen, goldbärtigen Regenten
an, John von Gaunt, den Herzog von Lancaster. »Wir sind gekommen,
sowie der Bote uns gefunden hatte.«
Cranston blickte rasch in die
Runde, während Gaunt die anderen vorstellte. Er kannte sie alle: Sir
Christopher Goodman, rotgesichtig und froschäugig, war der Bürgermeister.
Die übrigen prächtig gekleideten Männer mit den stolzen
Gesichtern waren die Gildemeister: Thomas Fitzroy von den Fischhändlern,
der Cranston mit seinen vorgewölbten Lippen und den glasigen Augen
immer an einen Karpfen erinnerte; Philip Sudbury von den Eisenwarenhändlern
mit seinem roten Gesicht und roten Haaren, ein eingefleischter Trinker;
Alexander Bremmer von den Tuchhändlern, mager und mit niederträchtigem
Blick, ein habsüchtiger, raffgieriger Mann; Hugo Marshall von den Gewürzhändlern,
dessen Kopf so kahl war wie ein Taubenei; schließlich Sir
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