Der Zorn Gottes
Gold der Gildemeister. Und als nächstes« - ein drittes
Stück Brot erschien - »haben wir die Partei des Königs.
Unser junger Prinz ist noch nicht volljährig, aber seine Anhänger,
Hussey zum Beispiel, würden nur zu gern die Macht des Regenten
brechen und sich an seine Stelle setzen. Außerdem haben wir die Große
Gemeinschaft des Reiches, die Bauernführer mit ihrem geheimen Rat und
dem mysteriösen Anführer, der sich Ira Dei nennt. Und schließlich
noch das Unbekannte: Wurde Mountjoy vielleicht aus persönlichen und
nicht aus politischen Motiven ermordet?«
Cranston senkte die Stimme.
»Wer weiß? Es könnte Boscombe gewesen sein oder jeder
andere aus London. Ich wette, wenn du eine Versammlung derer einberufst,
die den Sheriff gehaßt haben, dann gibt es in der
St.-Paul-Kathedrale keine Stehplätze mehr, und die Warteschlange
derer, die hineinwollen, würde bis zur Themse hinunterreichen.«
»Aber, Sir John, auf
der Messerklinge stand der Name Ira Dei.«
»Aber, aber, mein
schlauer Ordensbruder!« dröhnte Sir John. »Spiel mir
nicht den Unschuldsengel. Bestimmt tauchte irgend so ein Mörder auf,
als all diese Honoratioren im Rathaus versammelt waren, und fragte nach
dem Weg zum Sheriff, damit er ihn umbringen könnte! Es liegt doch auf
der Hand«, stellte er fest und richtete sich auf. Sein weißer
Schnurrbart zitterte. »Ich spreche nur laut aus, was diese
scheinheilige Bande von Schweinehunden insgeheim weiß: Der Mörder
war bereits im Rathaus. Weder der Regent noch dieser Fettkloß
Goodman hat gesagt, daß ein Fremder in ihrem vermaledeiten Rathaus
gesehen wurde.«
Athelstan grinste. »Concedo,
oh Aufmerksamster unter den Coroners. Die Sache wird also um so
verzwickter?«
»Natürlich.«
Cranston nahm die Brotstücke vom Tisch. »Und was ist«,
überlegte er, »wenn es ein Bündnis zwischen all diesen
Gruppen gibt? Eine unheilige Verbindung wie zwischen Pilatus und Herodes?«
»Wenn das der Fall ist«,
sagte Athelstan, »dann haben wir es mit einer Serie von komplexen
Verstrickungen zu tun, die sich jeder logischen Analyse widersetzt. Die
Gildemeister sind vielleicht nicht einig. Vielleicht sind sie
unentschlossen, vielleicht sogar tückisch, und machen sowohl Gaunt
als auch der Bauernpartei den Hof.«
»Oder, schlimmer noch«,
erwog Cranston, »die Gildemeister könnten Gaunt, dem König
und den Bauern den Hof machen.« Er wedelte die Patschhand. »Vielleicht
ist nur einer der Gildemeister ein Verräter. Oder hat Gaunt den
Mountjoy umbringen lassen, weil er der einzige Wurm an ihrer Rose war?«
Athelstan hob die Hände.
»Ich stimme Euch zu, Sir John. Wie Sir Gerard ermordet wurde, ist
ein Geheimnis. Wer ihn ermordet hat… nun, es könnte jeder
gewesen sein. Also bleibt uns die Frage: Warum?«
»Und die haben wir
schon beantwortet.« Cranston stand auf, klopfte
sich mit der flachen Hand auf den Bauch und strahlte seinen Schreiber an.
»Vielleicht hat Sir Gerard dem Regenten zuviel Schwierigkeiten
gemacht? Eines wissen wir jedenfalls. In diesem Spiel geht es um Macht,
und der Sieger wird König im Schloß und kann zusehen, wie seine
Feinde vernichtet werden. Ich kann nur sagen: Wir dürfen niemandem
trauen.«
»Ich glaube folgendes«,
sagte Athelstan. »Da der Mord just an dem Tag geschehen ist, als
Gaunt seine Allianz mit der Stadt besiegeln wollte, muß ich daraus
schließen, daß Sir Gerards Tod nicht auf eine Privatfehde zurückzuführen
ist, sondern diese Allianz zerstören und die Saat der Zwietracht und
des Mißtrauens säen soll. In diesem Fall…«
»In diesem Fall - was?«
»In diesem Fall, teurer
Coroner, wird es, ehe wir beide sehr viel älter sind, noch einen Mord
geben.«
Cranston fluchte leise, fegte
die letzten Brotreste vom Tisch und schaute zu, wie Gog und Magog langsam
herankamen, um zu sehen, was ihr Herr ihnen da anbot. Die Glocken von St.
Mary Le Bow begannen zu läuten. Sir John blickte zum Himmel; es wurde
dunkler.
»Komm, Bruder. Wir sind
zum Bankett des Regenten im Rathaus eingeladen.«
»Sir John, ich sollte
in meine Pfarrei zurück.«
Cranston grinste. »Bei
den Zitzen des Teufels! Der Regent hat dich eingeladen, und du mußt
hin!«
Cranston ging ins Haus und brüllte
nach Boscombe. Athelstan wusch sich an einer Wasserschüssel in der Spülküche.
Unterdessen stieg Sir John in seine Kammer hinauf, kleidete sich in ein
Gewand aus
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