Der Zorn Gottes
als er dem
Stuhl des Rattenfängers gegenüber auf einem Schemel Platz nahm.
Die Kinder umringten den Priester und
ließen ihn nicht aus den Augen.
»Gefallt Euch der
Geruch, Pater?«
»Nun ja, Ranulf, abstoßend
ist er nicht.«
Ranulf klopfte an seine
schwarzgeteerte Jacke. »Ich habe sie mit Anissaat und Thymian
eingerieben. Die Ratten mögen das.«
Er hielt inne, als seine
älteste Tochter in einem zerlumpten schwarzen Kleid hereinkam und
Athelstan und ihrem Vater mit feierlicher Miene eine wohlschmeckende Suppe
servierte. Währendessen schaute der Priester sich um. In einer Ecke
stand ein Käfig mit Spatzen, in einer anderen hingen Angelschnüre,
ein Dachsfell, mehrere Senkbleie und Aalhaken.
»Mögt Ihr Ratten?«
fragte Ranulf unvermittelt.
Athelstan starrte ihn an.
»Es gibt vier Arten,
Pater. Scheunenratten, Gossenratten, Flußratten und Straßenratten.
Die schlimmsten sind die Gossenratten - die sind schwarz.« Er schob
den Ärmel seiner Teerjacke hoch und entblößte einen
Unterarm, der von Narben übersät war. »Die schwarzen
Ratten sind Drecksbiester, Pater. Entschuldigt, aber es sind wirklich
Drecksbiester! Viermal bin ich an ihren Bissen fast gestorben. Einmal sind
mir die Zähne der Ratte im Finger abgebrochen.« Er streckte die
Hand aus. »Es war furchtbar schlimm - alles war geschwollen und
faulte. Ich mußte die abgebrochenen Stücke mit einer Zange
herausziehen. Überall haben sie mich schon gebissen, Pater.«
Athelstan fuhr zusammen, als
ein kleines Pelztier, das von nirgendwo zu kommen schien, am Bein des
Rattenfängers heraufrannte und auf seinem Schoß Platz nahm.
»Das ist Ferox«,
erklärte Ranulf. »Mein Frettchen.«
Ungläubig starrte
Athelstan das Geschöpf mit den kleinen schwarzen Augen und der
zuckenden Nase an.
»Ferox bedeutet wild«,
fuhr Ranulf fort, ohne daß Athelstan Gelegenheit hatte, etwas zu
sagen. »Frettchen sind sehr gefährlich, aber Ferox ist gut
abgerichtet. Er hat schon mindestens tausend Ratten zu ihrem Schöpfer
heimgeschickt.«
Athelstan verbarg ein
Grinsen; er aß seine Schüssel leer und gab sie dem Mädchen
mitsamt dem Zinnlöffel zurück. Die übrigen Kinder standen
immer noch da und starrten ihren Vater mit großen, bewundernden
Augen an. Der Priester betrachtete die etwas vorstehenden Zähne des
Rattenfängers, die spitze Nase und das bleiche Gesicht mit dem dünnen
Schnurrbart, und er dachte an das Gespräch mit Pike. Ranulf war
genauso: ein hart arbeitender Mann, ein guter Vater, einer der Kleinen auf
Erde, so weit entfernt von Macht und Reichtum, und doch so nah bei Gott.
»Ranulf, du wolltest
mit mir über die Zunft sprechen.«
»Ja, Pater. Wir möchten,
daß St. Erconwald unsere Zunftkirche wird.« Ranulf schluckte
nervös. »Die Zunft möchte in der Kirche zusammenkommen,
und nachher würden wir gern unser Festmahl im Kirchenschiff
einnehmen. Wäre Euch das recht, Pater?«
Athelstan nickte feierlich.
»Jeden dritten Samstag
im Monat würden wir uns in St. Erconwald zur Messe treffen und
hernach im Kirchenschiff unsere Zunftversammlung abhalten.«
Wieder nickte Athelstan.
»Und wir würden
Euch jedes Vierteljahr zwei Pfund fünfzehn Shilling bezahlen.«
Athelstan vermutete, daß
der Rattenfänger diesen Betrag für ziemlich niedrig hielt.
»Damit wäre ich
überaus zufrieden«, antwortete er rasch.
»Seid Ihr sicher,
Pater?«
»Natürlich.«
»Und Frauen und Kinder
können auch dabeisein?«
»Warum nicht?«
»Und Ihr werdet unsere
Frettchen und Fallen segnen?«
»Ganz ohne Zweifel.«
»Wißt Ihr auch
einen Schutzheiligen für uns, Pater?«
Athelstan starrte ihn an.
»Nein, Ranulf, da bin ich ratlos. Aber ich kann sicher einen für
euch finden.«
Ranulf seufzte erleichtert
und stand auf.
»Wenn das so ist,
Pater, dann habt Ihr unseren Dank. Osric - das ist der oberste Rattenfänger
von Southwark - wird den Vertrag aufsetzen. Er kennt einen Schreiber in
St. Paul.«
»Ich kann das kostenlos
machen«, sagte Athelstan und erhob sich ebenfalls.
Ranulf krähte entzückt
und klatschte in die Hände. Seine Kinder ließen sich von seiner
guten Stimmung anstecken und tanzten im Kreis um Athelstan herum, als sei
er ihr Schutzpatron. Athelstans Blick fiel auf eine Falle an der Wand, und
plötzlich mußte er an Cranstons armen Freund Oliver Ingham
denken.
»Sag, Ranulf, hast du
schon einmal
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