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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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ziehen, sagte
     er immer. Da seien die Leute barmherziger. Das hat sich nun gezeigt. Auf dem Dorf
     wird zwar kein Geld gegeben, aber jede Menge Brot. Also ziehen wir über Land, Gott
     sei gepriesen.
    Wanjuscha: Zao war ein kluger Mann. Weißt du
     noch, Soplja, wie er zu dir sagte: lieber betteln als stehlen?
    Soplja (macht sich am brodelnden Kessel zu schaffen): Natürlich weiß ich das noch … da schau, es kocht schon. Betteln ist
     jedenfalls weniger gefährlich. Aber trinken möchte man ja auch was. Und Wodka tut
     dir keiner in den Sack.
    Sofron: Mein Gott, du mit deinem Wodka
     immer. Kein Tag vergeht, an dem du nicht von dem Dreckszeug redest.
    Frolowitsch: Wodka macht einen schweren Kopf und weiche Knie.
    Wanjuscha: Mein Papa hat zu Lebzeiten gern
     einen Wodka getrunken. Er brennt so schön.
    Sofron: Er brennt und schmeckt nicht. Wie man das Zeug überhaupt
     runterkriegt, frage ich mich.
    Frolowitsch: Der Mensch nimmt alles in den
     Mund.
    Soplja: Ich trink nun mal gern einen Wodka.
     Zumal im Winter. Er bringt Hitze ins Blut.
    Sofron: Sein Geld in Wodka anzulegen, das
     fehlte noch. Eine einzige Abscheulichkeit. Und ohne jeden Nutzen. Was ist, Brüder,
     wollen wir uns ein bisschen Spaß machen?
    Frolowitsch, Vanjuscha, Soplja (zücken ihre Löffel und scharen sich um den
     Kessel): Au ja. Spaß!
    Sofron zieht einen Lappen aus der Tasche, faltet
     ihn auseinander. Zum Vorschein kommt eine kleine Packung mit weichen Ampullen.
     Darauf ein lebendes Bild: Auf eines Mannes Kahlkopf beginnen unversehens Blumen
     zu sprießen, der Mann lacht, öffnet den Mund, dem Mund entfleuchen zwei goldene
     Hieroglyphen: xingfu 7 .
    Frolowitsch: Wie viele sind es?
    Sofron (seufzend): Sieben.
    Soplja: Das langt nicht mal für zwei
     Mahlzeiten.
    Wanjuscha: Wieso sieben? Es waren doch zehn?
    Sofron: Drei haben wir gestern den Polypen
     in Perchuschkowo abgelassen, vor der Armenküche. Weißt du nicht mehr?
    Wanjuscha: Gestern?
    Sofron: Gestern. Während ihr das Lied vom
     Räuber Kudejar sanget, Frolowitsch und du.
    Frolowitsch: Das hat er nicht mitgekriegt.
     Die Polypen traten stumm vor uns hin, Sofron hat ihnen drei von den Dingern
     zugesteckt. Damit sie wieder gehen. Und das taten sie dann.
    Wanjuscha: Aha. Das hab ich anscheinend
     wirklich nicht mitbekommen. Ihr habt auch nichts gesagt.
    Frolowitsch: Wozu unnötig ein Wort darüber verlieren.
    Soplja nimmt den Kessel vom Feuer, Sofron
     platziert ein Stück Brett in die Mitte des Wachstuches, Soplja setzt den Kessel
     darauf ab. Frolowitsch holt Löffel heraus, verteilt sie.
    Sofron: Was meint ihr, Brüder, schmeißen wir
     fünf rein und heben zwei auf? Oder gleich alle sieben?
    Frolowitsch: Zweie machen uns den Kohl
     morgen sowieso nicht fett. Das bringt nur Enttäuschungen.
    Soplja: Sehe ich genauso.
    Sofron: Ich auch.
    Wanjuscha: Sieben – ist das nicht ein
     bisschen viel?
    Sofron: Da geht die Post schneller ab.
    Wanjuscha: Wie du meinst, Sofronjuschka.
    Sofron bricht die Ampullen und schüttet den Inhalt
     in den Eintopf; dann holt er ein Fläschchen mit dunkelroter Flüssigkeit hervor
     und träufelt aus ihm siebzig Tropfen in den Kessel.
    Sofron (zu Soplja): Gib den Zucker.
    Soplja wühlt in seinen Taschen, zieht eine
     Zellophantüte hervor. Entdeckt, dass sie leer ist.
    Sofron: Wo ist der Zucker?
    Soplja (gräbt in der Tasche nach): Herrje, die
     Tüte war nicht verknotet. Er ist rausgerieselt …
    Frolowitsch: Und in der Tasche?
    Soplja zieht das Taschenfutter hervor; an seinem
     Ende klafft ein Loch.
    Soplja: Ich hab den Zucker verloren …
     Verzeiht mir, Brüder.
    Frolowitsch versetzt Soplja mit der Krücke einen
     Schlag.
    Sofron: Du Drecksstück! Wie sollen wir das
     jetzt runterkriegen?
    Soplja: Verzeiht, Brüder, es war nicht mit
     Absicht. Nein. Bestimmt nicht.
    Frolowitsch: So eine Ausgeburt! Kann man dir eigentlich noch irgendetwas
     anvertrauen? Was glaubst du, wo wir jetzt Zucker hernehmen? Du hinkst gefälligst zur
     Bahnstation und holst Zucker, aber hopp! Zack, zack, du elende Ratte!
    Wanjuscha: Ich hab Zucker.
    Sofron: Was, wie? Woher?
    Wanjuscha: Ich hab doch den Zuckerturm.
     Wisst ihr nicht mehr? Ein Mädchen hat ihn mir geschenkt auf dem Markt in Wnukowo. (Fährt sich mit der Hand in die Tasche, zieht
     das Türmchen eines Zuckerkremls hervor.) Wir wollten ihn aufheben.
    Wortlos schauen die Sehenden auf den Turm.
    Wanjuscha: Sofronjuschka, gib ihn in die
     Suppe.
    Sofron: Ist’s denn nicht schad drum? So ein
     hübsches

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