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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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in den Ecken der Zweizimmerwohnung
     Eindollarscheine aus, auf dass sie sich vermehrten,die Oma
     schickte aus Tjumen frischen, leicht eingesalzenen Fisch, grüne Maränen und Nelma,
     sein Freund Alik Muchammedow aus reichem Hause schenkte ihm ein klasse Kona-Bike zum
     Geburtstag, Sonjas Abtreibung ging glatt, Kolja nannte eine Stereoanlage von Marantz
     sein Eigen, am Beton im Treppenhaus stand in kühn geschwungener Schönschrift: Never fuck you again! und an den Garagen vorm
     Fenster schief und krakelig: Die Oligarchen sitzen
     im Kreml!, und einmal bekam Koljas kleine Schwester die Grippe, lag mit
     hohem Fieber im Bett und fantasierte über eine Bibelstelle: Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen
     ist – träumte, dass es Riesenbrote vom Himmel regnete, ihr und den Leuten
     und der Katze auf den Kopf, und die Brote hatten riesige Münder, sie erschrak
     furchtbar und weinte bitterlich …
    Langsam fuhr Sewastjanow im Strom der Fahrzeuge dahin und
     gedachte, den Zuckeradler lutschend, der Vergangenheit. Der Sänger sang dazu mit
     einer angenehmen Stimme, die Gelassenheit und Männlichkeit ausstrahlte, dabei wusste
     Sewastjanow noch, wie der Mann ausgesehen hatte: dick und speckig, ein Gesicht wie
     aus Gummi, schwarze Perücke … Den Namen hatte er längst vergessen.
    »Brote vom Himmel, so ein Quatsch«, dachte Sewastjanow
     lächelnd.

    Und dankbar ist das ganze Land
    Unserm Tschekisten, Herz und Hand.

    Das Lied war zu Ende.
    Mit einem hübschen Knacken zerbrach der Zuckeradler an
     Hauptmann Sewastjanows Gaumen in drei Teile.

[Menü]
    Der Traum
    Am neunten Februar des Jahres zweitausendundachtundzwanzig
     nach Christi Geburt, sechs Uhr siebzehn Moskauer Zeit, sank die Gossudarin im rosa
     Schlafgemach ihrer Kremlsuite in den Schlaf und hatte einen Traum.
    Nackt, nur auf dünnen, hohen Stöckeln, betritt sie den
     Kreml durch das Tor Spasskie Worota. Der Tag ist sonnig und warm, wenn nicht heiß zu
     nennen. Der Kreml ist perfekt ausgeleuchtet, so strahlend weiß, dass die Augen der
     Gossudarin davon geblendet sind. Nichtsdestoweniger ist dieses Gleißen äußerst
     angenehm, es muntert auf, erfüllt den Leib mit Freuden. Die Gossudarin fühlt sich
     blendend! Nicht nur die Mauern und Gebäude, auch der gewöhnliche Schotter unter
     ihren Füßen funkelt weiß, schillert im Sonnenlicht. Er knirscht unter den Absätzen
     der Gossudarin. Und sie fühlt sich, während sie darüber hinwegschreitet, mit jedem
     Schritt jünger werden, fühlt, wie Kraft und Gesundheit in ihren Leib zurückkehren.
     Spürt, wie die im Takt der Schritte schwingenden Brüste sich straffen, auf einmal
     wieder zart und geschmeidig sind. Sie fasst sie an, berührt die Brustwarzen, die
     sich mit jedem Schritt mehr versteifen. Jeder Schritt bringt neues Vergnügen. Das
     Gefühl der wiederkehrenden Jugend erfüllt ihren Leib mit unbeschreiblichem
     Entzücken. Der Gossudarin macht es Spaß – richtig Spaß! – zu gehen, zu gehen und
     nichts als zu gehen über den weiten, hellen, sonnenüberfluteten Kremlhof.Und der Kreml scheint vollkommen leer, es ist wirklich kein Mensch
     zu sehen, weder Wach- noch Schützengarde, vom Kremlregiment in den Kasernen keine
     Spur, auch kein Bojar und kein Kämmerer, kein Truchsess und kein Mundschenk, kein
     Syndikus, kein Bettmeister und kein Beschließer, kein Stallknecht und kein
     Steigbügelhalter, kein Schreiberling, kein Henker, kein Hausmeister, kein Türsteher
     und kein Torsteher, kein Hofnarr, kein Diener und kein Helfershelfer, kein
     Gnadenbrotempfänger, kein Mönch, kein Priester, kein Küster, kein Diakon, kein
     Kanzleigehilfe und -untergehilfe, nicht einmal der gewöhnlichste Bettler ist zu
     sehen auf dem gleißenden Kirchenvorplatz. Die Gossudarin läuft durch den Kreml,
     schaut sich um und fasst sich an. Ihr Herz schlägt freudig bis zum Halse. Ihr ist so
     wohl, die Freude macht sie stöhnen mit jedem Schritt. Das Stöhnen wird lauter, der
     Gossudarin entfahren Schreie, spitz und verzückt, sie hallen wider von den
     schneeweißen Kremlmauern, kehren als wunderliches Echo zu ihr zurück. Sie brüllt und
     kreischt, laut und immer lauter. Und plötzlich entdeckt sie in sich eine neue
     Möglichkeit, eine wunderbare Gabe, die ihrem Leib entspringt: Ihre verjüngte,
     gestraffte Kehle kann tönen. Sie kann singen, und wie! Nicht so wie alle, nein –
     kräftig, hoch und rein, jede Höhe nimmt sie spielend. Die Gossudarin erprobt ihr
     restauriertes Organ,

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