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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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ich!«, rief Timur und war schon dabei, den Kübel mit
     der Suppe zu öffnen, die Schöpfkelle abzunehmen und die Suppe auszuteilen.
    »Perlgrauben?«, fragte Hufeisen schnuppernd. »Das ist gut.«
    Wie immer übernahm es Slonow selbst, den Quader
     geschnittenes Graubrot auszupacken und an seine Leute zu verteilen. Als Timur mit
     dem Austeilen der Suppe fertig war und den leeren Kübel verschlossen hatte, standen
     alle auf. Slonow bekreuzigte sich und betete:
    »Wir danken dir, Herr Jesu Christ, für das, was du uns von
     deinen irdischen Gütern bescheret hast. Also verschließe uns auch nicht dein
     Himmelreich. So wie du kamest zu deinen Jüngern und schenktest ihnen Frieden, so
     komm und erlöse auch uns.«
    Er schlug ein Kreuz über dem Tisch, und alle, mit Ausnahme
     von Timur und Salman, taten es ihm nach. Dann setzten sich die Männer und machten
     sich über das Essen her. Die Suppe wurde schweigend gegessen, Löffel und Teller
     verspeiste man gleich mit: Da jeder nur drei Scheiben Brot zu Mittag bekam, waren
     Besteck und Geschirr ein gutes Zubrot. Nach den tiefen Tellern kamen die flachen zum
     Einsatz, Gabeln dazu, auch sie von gräulicher Farbe, aus chinesischem Reismehl.
     Timur klappte den zweiten Kübel auf.
    »Reis mit Fleisch«, verkündete er.
    Beifälliges Mienenspiel in der Brigade. Fleisch gab es
     dienstags, donnerstags und sonntags. Heute war Donnerstag. An den anderen Tagen kam
     nach der Suppe Hirse-, Graupen- oder Reisbrei mit Rapsöl auf den Tisch.
    Das Hauptgericht wurde ausgeteilt und wiederum zügig und
     schweigend verputzt. Im Anschluss die Teller; die Gabeln wurden in den Taschen
     verstaut, man pflegte sie mit auf die Baustelle zu nehmen und während der Arbeit zu
     kauen. Gabelfrühstück nannte sich das.
    Während er noch an seinem Teller herumknusperte, sah
     Slonow auf die Uhr.
    »Neun Minuten haben wir noch. Was ist, wer gibt heute eine Schote
     zum Besten?«
    Alle blickten einander an.
    »Ich wüsste eine!«, tat Sawoska sogleich mit einem Lächeln
     kund – die Züchtigung sah man ihm nicht im Geringsten an.
    »Mach’s halb, du warst oft genug dran!«, attackierte
     Hufeisen ihn bissig.
    »Hast du nicht gestern erst?«, fragte Sanjok verwundert.
    »Na und, fandest du’s denn nicht lustig?«, fragte Sawoska
     zurück und griente.
    »Das vom Opritschnik und der Jungfrau? Doch, doch.«
    »Was reißt du dann das Maul auf, Shabi 9 ?«
    »Sawoska, du bringst es gut, aber andre wollen auch mal.«
    »Na, wenn nicht Sawoska, dann einer von den Neuen.«
    »Botscharow soll schwätzen. Der kann’s lustig!«
    »Haha, au ja!«
    »Nein, wie wär’s mit Petrucchio! O Vä-äter, Vä-ä-äter …«
    »Lass ihn in Ruhe, in Christi Namen …«
    »Hauptsache, einer fängt an, die Zeit läuft, Männer!«
    San Sanytsch rieb sich mit seiner Kappe das Gesicht, in
     dem vom hastigen Essen der Schweiß stand, dann stülpte er sie wieder über den
     kleinen grauen Kopf.
    »Passt auf, Jungs, jetzt erzähle ich euch eine
     Geschichte.«
    »Tu das, San Sanytsch!«, hieß der Vorarbeiter es gut.
    »Ja, also«, begann San Sanytsch, die braun gebrannten
     Fäuste mit Mörtelresten unter den Nägeln auf die Tischplatte gestemmt, »das Ganze
     spielt neunzehnhundertsechsundachtzig.«
    »Mein Geburtsjahr!«, ließ der finster dreinblickende Petrow hören.
    »Quatsch nicht dazwischen. Ich war grad zwanzig geworden.
     Hatte den Armeedienst hinter mir, als Feldwebel entlassen, kam zurück nach Brjansk
     und ging als Fräser in eine Fabrik. Hab da geackert wie das wilde Tier, Scheiße noch
     mal …«
    »Keine Flüche!«, wies Slonow ihn zurecht.
    »Ich hab gute Arbeit geleistet, meine ich«, fuhr San
     Sanytsch, nach der Überwachungskamera schielend, fort. »mich schnell eingefuchst,
     alles yanlidi 10 , nach einem Jahr war ich so weit, dass sie mich zum Komsomolsekretär gewählt
     haben, und dann hat der Parteisekretär bei mir geklingelt: Komm, Busuluzki, wir
     treten dich in die Partei ein, da kannst du Karriere machen. Was sollte ich dagegen
     sagen? Gut, macht mal, hab ich gesagt, tretet mich ein!«
    »Was für eine Partei war das?«, fragte Botscharow.
    »Na, die kommunistische.«
    »Wer waren die?«
    »Ist doch egal, Mann, was unterbrichst du ihn immer!«,
     maulte Hufeisen und stieß Botscharow an.
    »Ja nun«, sagte San Sanytsch, die Hände verschränkend.
     »Dieser Parteisekretär, Barybin hieß er, der hatte irgendwelche Vatergefühle für
     mich. Dem war sein Sohn als Schulkind ertrunken,

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