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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Stücken.«
    »Wie das?«
    »Die äußeren Feinde des Russländischen Staates haben ihn
     vorsätzlich damit angesteckt.«
    »Und wer war’s?«
    »Der serbische Gesandte Zoran Baranovic.«
    »Was schwätzt du da? Er und der Gossudar, das sind doch
     dicke Freunde. Sie gehen gemeinsam auf Jagd!«
    »Baranovic ist gekauft von der sodomitischen Plutokratie
     in Übersee.«
    »Und wie soll er ihn angesteckt haben?«
    »Am Tag nach Christi Verklärung, da lud der Gossudarzum Fischfang auf den See, Pleschtschejewo Osero. Und hinterher
     in die Sauna. Dort hat Baranovic dem Sohn des Gossudaren ein Pülverchen in den Kwas
     gestreut. Hat ihn so für sich entflammt. Und ist in ihn gedrungen auf die
     sodomitische Art.«
    »Hat einen Geheimgang angelegt sozusagen!«, lacht Michi.
    »Über den können die Plutokraten jetzt ihre Agenten
     einschleusen. Einmal pro Woche!«
    »Hast du Beweise dafür?«, fragt Matwej, sich den Bart
     streichend.
    »Beweise folgen!«, sagt Nikitka und klopft mit schmutziger
     Hand auf seine schlaue Maschine. »Jetzt muss ich weiter.«
    Er entfernt sich vom Scharfrichtertisch, geht hinüber zu
     den Zirkusleuten. Hier ist er immer gern gesehen.
    »Nikitka! Nimm einen Schluck!«
    »Zier dich nicht, alter Streuner!«
    »Trink, Bruder, so viel du lustig bist!«
    Nikitka nimmt ein Gläschen an von den Zirkusfreunden,
     trinkt, schiebt eine Pirogge nach. Und hat auch für sie etwas Neues auf Lager.
    »Auf der Reitbahn in der Jockeylaube ist das Weib vom
     Pferdeknecht gestern mit Drillingen niedergekommen!«
    »Ja, und?«
    »Alle drei mit Pferdeköpfen.«
    »Uah-ha-ha!«
    Während die Zirkusleute sich noch die Bäuche halten, ist
     Nikitka schon zu den Studenten gewechselt. Sie kredenzen ihm einen Krug
     Schiguljowsker. Nikitka nimmt einen Schluck.
    »Habt ihr schon von dem neuen Hirnkleister gehört? Die
     Chinesen haben einen ausgeheckt, der taugt nicht mehr nur für Roboter, sondern auch
     für Menschen!«
    »Gut geflunkert!«
    »Nein, nein, ungelogen! Der Kleister ward bei uns in
     Sibirien verschiedentlich geheim getestet: Den Männern im Dorf Karpilowka haben sie
     ihn in die Schädel gepumpt, haben sich nur in der Menge vertan.«
    »Und was geschah?«
    »Gleich morgens nach dem Aufstehen setzten sich die Männer
     hin und fertigten eine Niederschrift an für den Gossudaren. Thema: Wie geht ein Ruck
     durch das russische Dorf?«
    »Und was steht drin in der Niederschrift?«
    »Jedem Bauern, so steht da, gehört ein stählernes Gemächt
     vorgebaut. Damit kann er von früh bis spät den Acker pflügen. Ruckt einwandfrei!
     Guckt’s euch an!«
    Und Nikitka zeigt seine unanständigen Bildchen. Die
     Studenten wiehern, stoßen mit Nikita an. Aber der hat es eilig, zu den Chinesen
     hinüberzuhinken.
    »Wanshang hao 13 , ihr guten Leut! …«
    In dem Moment kommt ein Federfuchser aus dem Schatzhof zur
     Tür hereingeschneit, den der Suff um seinen Posten gebracht hat. Sein Brummbass
     übertönt das Stimmengewirr mit Leichtigkeit. Er schlägt ein Kreuz in alle vier
     Himmelsrichtungen und hebt zu singen an.

    Lebten in der Fürstenstadt,
    In der Hauptstadt Moskau,
    Einst drei Hunde herrenlos,
    Wollten Wasser saufen gehn
    Grad um Mitternacht.

    Der eine war ein weißer Hund,
    Der zweite war ein schwarzer Hund,
    Der dritte war ein roter Hund.
    Fanden einen guten Platz
    An der Moskwa stillem Strand
    Grad um Mitternacht.

    Und es trank der weiße Hund – das Wasser wurde weiß.
    Und es trank der schwarze Hund – das Wasser wurde schwarz.
    Und es trank der rote Hund – das Wasser wurde rot.

    Die Erde fing zu beben an, die Sonne tauchte ab.
    Die Schädelstätte wankte,
    fiel, zerfiel zu Schutt und Staub,
    Ward besetzt, benetzt mit Blut, mit purpurrotem Blut,
    Und vom Himmel tönt’ herab ein mächtig Donnerwort:
    »Wer noch gestern Henker war,
    Wird dran glauben müssen!«

    Der Ex-Beamte bekommt seinen Applaus, etwas zu trinken und
     einen Platz angeboten an irgendeinem Tisch.
    Unter Kreischen und Kieksen fallen Tanetschka und
     Dunetschka ins Lokal ein, die unzertrennlichen Blumenmädchen von der Trubnaja. Sowie
     sie ihre Vergissmeinnicht losgeschlagen haben, meldet sich bei ihnen unweigerlich
     der Appetit auf ein Moosbeerchen. Tanetschka ist drall und deftig, Tanetschka
     gertenschlank und gelenkig. Sie werden von den Stammgästen sogleich auf den Arm
     genommen:
    »Einlassmarke!«
    Tanetschka und Dunetschka wissen, was verlangt ist. Sie
     sperren ihre Münder auf, zeigen die gespaltenen Zungen

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