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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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undlassen
     sie vibrieren. Die Gäste klatschen, johlen und pfeifen, die Mädchen werden
     durchgelassen.
    »Zeigt uns doch mal eure Unterleibszungen«, blödelt einer
     von den Studenten, »die da oben kennen wir schon!«
    Der Zirkuspausenclown Wolodka erscheint, genannt: die
     Nachtigall. Er setzt sich zu den Seinen, betrinkt sich zügig und kommt auf sein
     altes Thema: Wann werden sie ihn »mit der Fußspitze massieren«, das heißt: aus dem
     Zirkus schmeißen? Da steigert er sich hinein.
    »Ich bin der beste dumme August weit und breit!«, rühmt er
     sich jammernd. »Der allerbeste! Wie können sie es wagen?«
    »Mach dich nicht ein. Sie wagen es nicht«, suchen die
     anderen ihn zu beschwichtigen.
    »Und ob sie es wagen, oh, oh! Und ob, und ob!«, plärrt
     Nachtigall, und seine Tränen rinnen.
    Der Nächste, der ins Glückliche Moskowien einkehrt, ist ein schnaufender Nautilus in
     Leuchtwattejacke mit dem Emblem von Volkes
     Wille. Er schiebt sich bis vor zu seinen Leuten, trinkt einen
     »Vorschlaghammer« auf ex und hat etwas zu berichten:
    »Auf der Puschkinskaja haben sie wieder eingesackt.«
    »Wen denn?«
    »Kaspar, Kasjan und Limon.«
    »Mehr nicht?«
    »Mehr nicht? Na, du bist gut.«
    »Die fiese Art?«
    »Nein, die anständige.«
    »Aufs 45er?«
    »Wohin dachtest du?«
    »Dann müssen wir wieder buttern.«
    »Sieht so aus. Zwack mal die Biber.«
    Einer von den betrunkenen Studenten will unbedingtein Gedicht aufsagen. Der gelockte Jungdichter steigt mit dem
     Bierkrug in der Hand auf einen Stuhl und deklamiert:

    Küssen möcht ich wächserne Epheben
    Nächtelang aufs zarte Schlüsselbein.
    Soll an meiner Brust dein Honig kleben,
    Kremig weiß, von Rausch und süßer Pein.

    Ist dein Stöhnen Schmerz, ist es Behagen,
    da den Schurz ich von den Lenden reiß?
    Fühl dich einmal mehr ans Kreuz geschlagen
    Meines geilen, gnadenlosen Leibs!

    Der Lockenkopf kriegt den Beifall seiner Kollegen und
     einen Klecks Kirschmarmelade in seinen Bierkrug. Bier mit Marmelade zu würzen, das
     ist bei den Moskauer Studenten so Sitte. »Anpimpen« heißt das in ihrer Sprache.
     Wobei jedes Lokal hierfür sein eigenes Rezept hat: Die Universitätsstudenten tun
     Himbeermarmelade rein, die Fachhochschüler schwören auf Aprikose, die Mathestudenten
     auf Stachelbeere, die Metallkundler und Maschinenbauer nehmen Apfel, die
     Betriebswirtschaftler Erdbeere, die Erdöl- und Erdgaschemiker Pflaume, und bei den
     Straßenbauern muss es Walderdbeere sein.
    Einer von den Handwerkern erzählt gerade einen Witz.
    »Pater Onufrius kommt in die Klasse und fragt seine
     Schüler: Wie viel ist zwei mal zwei? Wanja Salupin meldet sich, Pater Onufrius nimmt
     ihn dran. Wanja steht auf und sagt: Zwei mal zwei ist sechsundzwanzig, Herr Lehrer!
     – Falsch!, sagt Pater Onufrius, setzen! Zwei mal zwei ist vier. Oder fünf. Oder
     sechs, wenn’s hochkommt. Oder vielleicht noch acht. Oder allerhöchstens zwölf. Aber
     nie und nimmer sechsundzwanzig, du elender Strohkopf!«
    »Ooch, der Witz hat bei uns schon so-o-o einen Bart!«,fährt ein Architekturstudent ihm über den Mund. »Ich erzähl einen
     neueren, pass auf. Pater Onufrius kommt in die Klasse und fragt: Hat Gott den
     Menschen zur Arbeit oder zum Vergnügen geschaffen? Wanja Salupin meldet sich, Pater
     Onufrius nimmt ihn dran. Wanja steht auf und sagt: Zur Arbeit, Herr Lehrer! –
     Begründung! – Ach, Herr Lehrer, ich denke, Gott hat dem Menschen zehn Finger
     gegeben, aber nur einen Schwanz! – Setzen, Salupin. Die Antwort ist richtig, aber
     die Begründung ist so was von gemein!«
    »Ha-ha-ha!«
    Zwischen den zwei Blindfenstern mit lebenden russischen
     Landschaften (links Postkutscher mit Troikaschlitten im Winter, rechts Mädchenreigen
     unter rauschenden Birken im Sommer) sitzen die Zinseintreiber mit den Krämerinnen am
     runden Tisch, trinken Tee und Vogelbeerlikör und knabbern dazu an einem Zuckerkreml.
     Der Eintreiber Andrej Petrowitsch feiert nämlich heute Namenstag und hat es sich
     nicht nehmen lassen, den Zuckerkreml eines seiner Söhne zu opfern.
    »Bedient euch, Freunde! Ich hab ja zu Hause noch zwei
     davon!«
    »Oh, vielen Dank, Andrej Petrowitsch! Sehr freundlich!«
    Der Eintreiber schaut befriedigt drein, seine Glatze
     glänzt, die Augen funkeln, die Schnurrbartenden stehen stramm nach oben. Mit ihm
     trinken und feiern die Amtskollegen – unter Freunden: Basi, Topf, Sergi und Dimi –
     mit ihren Geschäftsfreundinnen. In ihren Mündern knuspert

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